Im Labyrinth der Abwehr

„Kaninchen" brachte, holte ihn aus einem Wachtraum zurück.
    Johann setzte sich an den Tisch. Das „Kaninchen" setzte sich ebenfalls, ohne die Aufforderung dazu abzuwarten.
    „Aufstehen!" schrie Johann und schlug dem Häftling den Gummiknüppel heftig auf den Kopf.
    Das „Kaninchen" stöhnte vor Schmerz, bedeckte das Gesicht mit den Händen.
    „Ruhe!" befahl Johann und winkte dem Blockführer mit der Hand. Als dieser hinausging, öffnete Johann die Schranktür einen Spalt und blickte das „Kaninchen" unverwandt an. „Du!" sagte er und nannte die Nummern noch dreier Denunzianten, wobei er die Ziffern laut und deutlich aussprach. Dann fuhr er fort: „Ihr vier", er wiederholte noch einmal deutlich abgesetzt die Nummern, „habt durch eure Arbeit für die Gestapo eine Beförderung verdient."
    „Ich danke Ihnen, Herr Obergefreiter!"
    „Ruhe! Ich bin noch nicht zu Ende! Ihr werdet der Spionageabwehr überstellt. Und du" — er reichte seinem Gegenüber Bleistift und Papier — „schreibst auf, wer nach deiner Meinung sofort zu liquidieren ist."
    Das „Kaninchen" begann eilig zu schreiben. Als er fertig war, schaute Weiß die Liste an.
    „Du kannst jetzt gehen. Und merk dir: Wenn du schwankst, macht die Abwehr kurzen Prozeß mit dir."
    Er brachte ihn zur Tür.
    Als er zurückgekehrt war, blieb er abwartend an der Tür stehen, schaute nochmals in den Flur und öffnete dann die Schranktür.
    „Komm raus! Hast du alles gehört?"
    Der Bergarbeiter nickte.
    „Sieh dir die Liste an."
    „Er hat auch meine Nummer aufgeschrieben, der Hund ..."
    „Ja”, sagte Weiß, „das ist gut, daß er dich nicht vergessen hat."
    „Für wen ist das gut?"
    „Nun, nehmen wir einmal an, für mich." Er fragte ernst: „Hast du jetzt verstanden?"
    Der Bergarbeiter nickte wieder.
    Weiß warnte ihn:
    „In zwei Tagen — nicht eher!"
    „Wird gemacht", sagte der Bergarbeiter ruhig. „In zwei Tagen erwürgen wir ihn."
    Weiß sagte ruhig:
    „Willige ein und geh auf die faschistische Diversions- und Spionageschule. Du überlegst ein bißchen, und dann willigst du ein. Und merk dir: Ich kenne dich nicht mehr, und du kennst mich auch nicht."
    „Klar."
    „Gehen wir", befahl Weiß und ging zur Tür.
    Und plötzlich hörte er ein vertrautes Wort.
    „Genosse!" flüsterte der Bergarbeiter.
    Johann drehte sich um. Gemeinsam verließen sie den Strafblock.
29
    Endlos zogen sich die Lager hin: Es gab Lager in Frontnähe, Sammellager, Durchgangslager, Ausmusterungslager, Elitelager, Straflager ...
    Weiß unterhielt sich mit den Lagerkommandanten und hörte sich ihre Klagen an. Es waren hier wie dort die gleichen. Die Lagerverwaltung war gezwungen, Kapazität nicht nur für die Kriegsgefangenen frei zu machen, sondern auch für die Vernichtung von Personen „aus den befreiten Gebieten". Die Erschießungen waren eine allzu verschwenderische Maßnahme: Sie verschlangen eine beachtliche Menge der an der Front gebrauchten Munition.
    Weiß brachte den Kommandanten sein aufrichtiges Mitgefühl zum Ausdruck. Er hoffte, sie für sich günstig zu stimmen, um mehr über andere Schwierigkeiten zu erfahren. Für ihn war es wichtig, Material über die illegalen kommunistischen Organisationen in den Lagern zu erhalten; er wollte wissen, wie das Wachsystem beschaffen war, wie Fluchtversuche verhindert wurden, wie die Verfolgung der Flüchtlinge vor sich ging.
    Die aus den Lagerkarteien entnommenen Angaben und viele andere Materialien, die sich bei Johann angesammelt hatten, erforderten ein besonders geräumiges Versteck. Nachdem er seine Schätze vorsorglich in Watte gepackt hatte, zerschnitt er einen Autoreifen, um in ihm sein Archiv zu verteilen. Die beschädigte Stelle flickte er, steckte den Reifen in den Mantel, pumpte Luft auf und legte ihn in den Kofferraum.
    Er handelte kaltblütig, doch er war sich der großen Gefahr bewußt. Eine ständige Bedrohung hing über ihm. Er wußte, was ihn erwartete, wenn eine beliebige seiner Aufzeichnungen in die Hände der Gestapoleute fiel; er würde keinen vernünftigen Grund dafür angeben können, warum er sie anfertigte.
    Eine Sprengladung unter einen feindlichen Zug legen, einen Tankwagen in die Luft sprengen, einen Gefolgsamen Hitlers erschießen all das war wirksamer, klangvoller, sichtbarer als die mühsame Schreibstubenarbeit, die er vollführte.
    Der Auftrag war beendet. Der Wagen fuhr nach Warschau zurück. Schneeregen fiel. Dietrich dämmerte vor sich hin, die Kartentasche an die Brust gedrückt. In