Im Labyrinth der Abwehr
— ein Mensch wie jeder andere. Ich lächele vorsichtig. Er führt mich ab, die MPi in meinem Rücken. Ringsum lagen unsere Jungs. Schade. Sie hatten es zu eilig gehabt. Also Zeugen gab es nicht. Und ich hing am Leben. Ich hatte jetzt die Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Ich brauch nur eine kleine Hütte, ein bißchen Sonne, na, und was zu essen. Ich kenne keinen Neid. Ich hatte mich auch daran gewöhnt, im Lager zu leben. Man gewöhnt sich an alles. Da regen sich die Leute über ungerechtfertigte Hinrichtungen auf. Aber ich sage mir, tut nichts, ich lebe weiter. Es gibt Dinge, die wir ändern können, und Dinge, die wir nicht ändern können. Es gibt Lager, und es gibt auch Schulen für Spione. Einer wird sowieso hineingehen. Warum also nicht ich? Gehe ich nicht, geht ein anderer. Klarer Fall!"
Eine rauhe Stimme, die wahrscheinlich dem Mann mit dem Decknamen „Nagel" gehörte, antwortete. Johann sah sein Gesicht vor sich: eine straffe, dünne, fast durchsichtige Haut, die Folge einer Brandverletzung. In seinem Fragebogen hatte er „ Pionier" angegeben. Johann vermutete, daß er Panzersoldat oder Flieger war und die Verbrennungen im Panzer oder Flugzeug erlitten hatte.
Nagel sagte:
„Du bist ein gründlicher Bursche und wirst auch bald gründlich mit dem Messer umgehen."
„Dazu bin ich nicht verpflichtet. Ich habe mich als Funker gemeldet. Wegen meiner guten orthographischen Kenntnisse werden sie das auch zu schätzen wissen. Zu Hause im Kolchos habe ich immer die saubere, die Schreibarbeit, gemacht."
„Ein Speichellecker bist du."
„Ach, das ist bei mir nur Höflichkeit. Ich habe so meine persönliche Lebenserfahrung: Man muß vor jedem Vorgesetzten kriechen. Ich hab vielleicht keinen großen Verstand, dafür aber einen scharfen. Als sie mir befohlen haben zu ernten, hab ich geerntet. Wenn ich jemand denunziert habe, hab ich mich nachher bei dessen Angehörigen entschuldigt. Nicht ich war es. Der Staat! Das haben sie verstanden. Unser Volk ist klassenbewußt. Einem anderen hätten sie ins Fenster geschossen, mir nicht. Ich bin ein einfacher Mensch und dadurch nützlich."
„Als Brechmittel!"
„Eine Beleidigung von dir juckt mich nicht. Nein. Wenn du willst, spuck nur aus. Und wenn du mich schlagen willst ... Ich werde mich nicht verteidigen. Aber der Vorgesetzte wird genau wissen, wer mir das angetan hat. Ich zähle jetzt zu ihrem Inventar."
„Bei uns im Lager haben sie so einen in den Betonmischer gesteckt", sagte Nagel nachdenklich.
„Und noch umsonst", erwiderte Denissow. „Ein Provokateur wird umgebracht. Aber für diese abscheuliche Figur werden dann drei Dutzend guter Kerle erschossen. Ich war immer gegen so was. Und ich hab nicht wenig ehrliche Kerle durch ein leises Wort gerettet."
„Du hast denunziert?"
„Den einen oder anderen, der sich mit gewissen Absichten trug. Und dadurch das Leben von Dutzenden gerettet. Erfinderisch muß man sein. Und gut rechnen können."
„Du bist ein Miststück ..."
„Mir Worten kannst du mich nicht beleidigen. Gegen Grobheiten bin ich unempfindlich. Für mich ist jeder ein Mensch. Und alle sind sie menschlich, alle von der gleichen Sorte."
„Hast du lange unter der Sowjetmacht gelebt?”
„Wie alle — von meiner Geburt bis jetzt, bis zum siebzehnten Juli, als die Deutschen uns unter Feuer nahmen."
Nagel sagte nachdenklich:
„Ich würde gern zusammen mit dir einen Auftrag erledigen: Du bist ein gründlicher Mensch, mit dir kommt man nicht unter die Räder."
„Ich bin dagegen."
„Tauge ich etwa nicht dazu?"
„Du bedrückst mich, ich würde mich schon vor lauter Kummer erschießen."
„Aber wieso denn?"
„Du hast so einen wilden Blick. Die Deutschen sind uns gegenüber blind, sie unterscheiden nicht. Aber ich spüre, daß du durchkommen wirst. Nicht, daß du zu den Deinen überläufst. Nein, davon rede ich nicht. Aber nehmen wir einmal an, daß du dich den Behörden stellst: Guten Tag, erlauben Sie, daß ich ein Geständnis ablege. Und bums —1 sitzt du beim NKWD. Vielleicht machen sie dir keine Scherereien, drücken sogar ein Auge zu, und du bekommst nur ein Vierteljährchen. Unter unseren Leuten gibt es bestimmt solche naiven, die glauben, daß sie mit einem bißchen Straflager davonkommen. Illusionen sind das!"
Nagel fragte:
„Bezahlen sie dich für diese Propaganda mit Zigaretten oder Fett?"
„Nein, das mach ich von mir aus." Er fragte beunruhigt: „Heißt das etwa, daß es für die richtige Art, sich zu unterhalten, eine
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