Im Labyrinth der Fugge
Philipp brauchte dringend eine Erfrischung. Er bückte sich an einer großen, flachen Schale, scheuchte ein paar gesprenkelte Hennen auf, die darin gebadet hatten, und betupfte sich das Gesicht mit dem kühlenden Nass. Die Wasseroberfläche beruhigte sich wieder und Philipp starrte hinein. Neben seinem Antlitz spiegelte sich auch die Silhouette des Papstes hinter ihm.
»Pater Canisius setzt große Hoffnung in dich.« Der Papst sprach mit seinem Spiegelbild.
»In mich?« Philipp war überrascht, das hätte er zuletzt gedacht. Octavian war doch der Herzbube des Paters, nicht er. ›Gleich wer sich im Spiegel betrachtet, ein Fugger starrt zurück.‹
Behutsam setzte der Papst den Gockel auf einem Ast ab.
»Lassen wir Carlo mit seinen zwölf Hennen wieder allein.« Ob Pius auch so viele Frauen hatte wie der ermordete Papst Alexander? Philipp wandte sich um.
»Du musst es natürlich nicht umsonst tun. Überschlafe es. Ruedi bringt dir ein Geschenk, wenn du es versuchst.«
Der Papst legte ihm die Hand aufs Haupt und murmelte den lateinischen Segen. Kniend starrte Philipp auf den grünen, stinkenden Fleck, den der Gockel auf dem päpstlichen Brokatkleid hinterlassen hatte.
8. Der Rosenstrauch
Schritte und Stimmen, die Tür wurde entriegelt. Ihre Augen schmerzten, als ihr eine Laterne ins Gesicht gehalten wurde.
»Jacobäa?«
Anna wagte einen Blick. Eine Frau beugte sich zu ihr in den Karzer. Sie trug nicht wie erwartet einen Schleier, sondern einen kegelförmigen Hut, der unter einem ihrer Kinne von Bändern gehalten wurde. Mit ihrem ausladenden Kleid und ihrer Fülle passte sie nicht in den Karzer. Plötzlich begann Annas Herz heftig zu schlagen. Mutter? Doch Anna wagte nicht, es auszusprechen. Ein Duft drängte sich in ihr Gefängnis. Genauso roch es an einer Stelle im Labyrinth, an der ein französischer Rosenstrauch wuchs. Kleine zartrosa Blüten. Ihr Vater hatte einmal gesagt, der Strauch wäre genauso alt wie sie, also bald fünfzehn Jahre.
»Genug gebüßt, Jacobäa, für was auch immer es gewesen ist.«
Nein, so redete Mutter nicht, und niemand nannte sie bei ihrem zweiten Vornamen.
»Holt sie hier raus.« Die Frau trat zurück, sie war an allen Seiten rund und ihr Bauch enthielt vermutlich kein Kind. Zwei Nonnen zwängten sich an ihr vorbei und hievten Anna aus dem Karzer.
»Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch fest gewickelt und pausbäckig. Aber du besaßt wenigstens die Andeutung einer Nase, anstelle des roten Klumpens da.«
Sobald Anna wieder aufrecht stand, schienen tausend Krabbeltiere durch ihren Körper zu rennen. Alles drehte sich. Sie knickte ein, die Nonnen fingen sie auf. Der Karzer lag am Ende eines fackelbeleuchteten Gangs mit vielen großen, eisenbeschlagenen Türen. Kein Stall wie sie gedacht hatte. Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen.
»Schnell, gebt ihr was zu trinken!«, rief die Frau, ehe Anna ihr entgegenfiel.
Später blinzelte Anna in das glänzende Gesicht der Frau, die ihr einen Becher dampfendes Gebräu reichte. Anna lag in einem Bett, die Wolldecken waren sogar mit Tüchern eingeschlagen. Der Duft der Speckfrau hüllte sie ein, immer noch roch es nach Rosen. War der Karzer nur ein böser Traum gewesen? Anstatt ihres gelben Kleides trug Anna einen ungefärbten Kittel aus grober Wolle. Er kratzte und auch das dumpfe Pochen ihrer Nase weckte sie endgültig. Quer durchs Gesicht war ihr ein Stoffstreifen gewickelt worden. Vorsichtig tastete sie nach ihrer Nase und spürte eine dicke Kruste unter dem Verband.
»Trink langsam. Dasselbe Kraut, das du auf der Nase hast, heilt auch den Knochen. Beinwalla. Zum Trinken bekommst du die Blätter, der Wurzelsud aus Lehm und Honig klebt auf deiner Nase. Meinem Gatten hat es damals auch wunderbar geholfen.« Annas Kehle fühlte sich nicht mehr trocken an, jemand musste ihr bereits etwas eingeflößt haben. Das Gebräu roch scharf und vertrieb den Rosenduft. Sie tat ein paar Schlucke, ließ sich dann wieder in die weichen Kissen zurücksinken.
Die Frau schob die Bettdecke zur Seite und setzte sich zu ihr. Das Bettgestell knarzte. »Wenn du Glück hast, wächst deine Nase gerade zusammen. Du musst nur den Verband weiter tragen, bis er abfällt.«
War Anna gar nicht mehr im Kloster? In der sonnendurchfluteten kleinen Kammer standen eine Kleidertruhe und etliche Körbe mit Tand herum. Jetzt fiel es Anna ein. Sie kannte die Frau von einem Bildnis zu Hause im Flur. Zwischen der Schalmei und dem Tamburin hing sie,
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