Im Land der Feuerblume: Roman
gegackert, doch mittlerweile waren sie gottlob ruhig.
Stille senkte sich über die Baracke. Elisa wusste, dass es am besten wäre, wie die Kinder zu schlafen, doch sie konnte ihre Anspannung und Unruhe nicht abschütteln. Selbst Christl und Lenerl waren nach einer Weile wieder erwacht; Letztere murmelte etwas, was wie ein Gebet klang. Barbara und Annelie tuschelten miteinander und kicherten plötzlich los – ein Geräusch, das nicht nur in Elisas Ohren unpassend klang. Doch niemand rügte sie. Gänzlich ruhig saß Antiman, der Mann aus Chiloé, der die schlimmen Narben im Gesicht trug.
Annelie hatte ihm – gegen Jules Willen – von ihrem Plan erzählt, Konrads Hazienda zu verlassen, und er hatte zugestimmt, sie zu begleiten, vorausgesetzt, die Flucht ginge ohne unnötige Hast vonstatten.
»Wer sich beeilt, verliert Zeit«, hatte er gesagt – zumindest behauptete Annelie das.
»Er beherrscht unsere Sprache nicht und du nicht die seine. Hast ihn also sicher falsch verstanden!«, hatte Jule wütend entgegnet.
Trotz des aufgeregten Grummelns in ihrem Magen schloss Elisa die Augen und ließ den Kopf gegen die Wand sinken. Wie so oft, wenn sie sich hilflos und verloren fühlte, beschwor sie in ihren Gedanken Cornelius herauf. Dann stellte sie sich vor, dass er bei ihr wäre, sie auf seine besonnene, aber nicht minder bestimmte Art beruhigen und Mut zusprechen würde. Er würde ihre Hand drücken, sie würde ihren Kopf an seine Brust lehnen, vielleicht würden sie sich küssen, wie damals am Strand – und sie würde sich lebendig fühlen, stark und bereit, sämtliche Herausforderungen anzunehmen.
Elisa lächelte, während ihr Herzschlag ruhiger wurde. Das Bild von Cornelius verschwand, stattdessen vermischten sich die Eindrücke des Tages mit Bildern eines künftigen Lebens; immer wirrer wurden sie, immer verrückter, bis sie hochschreckte und bemerkte, dass es nur Träume waren und sie kurz eingenickt war. Sie rieb sich die Augen, in ihrem Mund schmeckte es bitter.
»Aufwachen!« Es war Lukas, der an ihrem Arm rüttelte, während Fritz und Taddäus schon die Bahre geschultert hatten, auf der sie Jakob tragen würden. Eigentlich war Poldi für diese Aufgabe auserkoren worden, aber Taddäus hatte sich eingeschaltet und gemeint, dass er kräftiger sei.
»Aber es ist unser Vater«, hatte Fritz gesagt.
»Wir machen nun alles zusammen«, hatte Taddäus erwidert.
Elisa rappelte sich hastig auf; nach dem kurzen Schlaf fühlte sie sich müde und schwer, und sie schüttelte sämtliche Glieder, um wieder frisch zu werden. Richard trat an Annelies Arm nach draußen, und Elisa folgte ihnen, erleichtert, dass der Vater den Aufbruch nicht verweigerte und einfach träge sitzen blieb.
Diesiges Licht erwartete sie im Freien. Der Wald war von einem dichten Nebelschleier verborgen. Der Boden dampfte wie immer, bis zu den Knien staksten sie in dieser wabernden Suppe. Immerhin regnete es nicht; und wenn sich erst der Nebel löste, würden sie vielleicht einige Sonnenstrahlen erhaschen können. Elisa schloss kurz die Augen, nahm einige tiefe Atemzüge.
Fritz verkündete nun die Reihenfolge, in der sie aufbrechen würden. »Taddäus und ich gehen mit Vater voran, wir geben das Tempo vor. Die Mädchen folgen mit meiner Mutter und Jule. Poldi, du bleibst bei Barbara und ihren Kindern. Lukas und Elisa, ihr geht als Letzte und habt darauf zu achten, dass keiner zurückbleibt.«
Sie folgten seinen Weisungen und nahmen Aufstellung. Als sie sich von der Baracke entfernten, wurde der Boden matschiger. Nicht lange, und sie würden knöcheltief in Schlamm versinken.
»Auf geht’s!«, schrie Fritz, und Elisa konnte ihm anhören, wie begierig er war, endlich diesen verfluchten Ort zu verlassen. Er genügte ihm nicht, seinen Triumph in Worte zu fassen. Noch einmal trat er zur Baracke zurück und trat gegen die Tür, die unter der Wucht zusammenbrach.
Ein knallendes Geräusch ertönte – und dann plötzlich noch eines, viel lauter, viel unerwarteter, denn Fritz hatte kein zweites Mal zugetreten, sondern stand still. Sie zuckten zusammen, fuhren herum. Konrad Weber trat aus dem Morgennebel; das Gewehr, das er in der Hand hielt, rauchte.
»Dass ihr es wagt!«, sagte er halb bitter, halb spöttisch. »Dass ihr es tatsächlich wagt!«
»Das darfst du nicht tun!«
Greta starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Viktor war zutiefst erschrocken, als sie plötzlich hinter ihm stand, aber es hatte ihn nicht davon abgehalten, seinen Plan zu
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