Im Land der Feuerblume: Roman
Macheten darauf eingeschlagen hatten, konnten sie weitergehen.
Nicht weniger Mühsal bereitete die Feuchtigkeit des Bodens. Jeder Fußbreit glich einem wassergetränkten Schwamm.
Selbst der energische Fritz wurde gegen Mittag so müde, dass er kurz die Bahre an Lukas übergab.
Elisa verkniff sich Klagelaute – ganz anders als der stets fluchende Poldi oder die weinerliche Resa Glöckner, die nicht minder herzzerreißend jammerte wie die Steiner-Mädchen – Katherl ausgenommen. Viktor und Greta wiederum sagten zwar kein Wort, waren aber so bleich, als würden sie jeden Augenblick umfallen. Ob sie voller Angst an ihren Vater dachten?
Greta hatte ihnen vorhin mit knappen Worten erklärt, dass sie vor Lambert geflohen wären, als dieser noch schlief. Christine hatte mit gerunzelter Stimme zugehört, offenbar nicht sicher, was mehr zählte: Ihr alter Hass auf Lambert Mielhahn oder das Gebot, wonach Kinder ihren Eltern zu gehorchen hätten und nicht einfach vor ihnen davonlaufen dürften. Am Ende hatte sie nichts gesagt, und auch Greta und Viktor hatten fortan geschwiegen.
Annelie schwieg ebenso, schlichtweg, weil ihr die Kraft zum Reden oder Jammern fehlte. Nicht nur, dass der Marsch ihr selbst Mühe bereitete, obendrein musste sie Richard bei jedem Schritt hinter sich herziehen.
»Du hättest mehr Kräfte, wenn du ihn einfach irgendwo sitzen ließest!«, meinte Jule barsch.
»Du bist ein herzloses Weib!«, fuhr Christine sie an. »Du würdest ja auch meinen Jakob liegen lassen, wenn wir nur schneller fortkämen.«
»Wir machen eine Rast!«, rief Fritz laut dazwischen.
Annelie gönnte sich jedoch keine Ruhe, sondern bereitete gemeinsam mit Antiman eine Stärkung zu: Sie rührte geröstetes Mehl mit kaltem Wasser zu Brei und würzte diesen mit Salz und spanischem Pfeffer – die Nahrung der Holzfäller, die diese freilich nicht in Blechschüsseln wie sie, sondern in Löchern zubereiteten, die sie in dicke Äste gehauen hatten.
»Antiman sagt, dass diese Speise Ulpiar heißt«, erklärte sie, als sie Elisa davon gab.
Elisa war es gleich, wie der Brei hieß und wie er schmeckte. Sie stillte ihren größten Hunger damit, dann blickte sie sich um. Sie rasteten an einer Lichtung, die von Ulmo-Bäumen mit ihren knorrigen Stämmen und weißen Blüten umgeben war. Letztere waren nicht die einzigen, die für einen Farbtupfer sorgten. Eben noch hatte der ganze Wald aus nichts anderem als aus Grün bestanden, wenn auch in sämtlichen Schattierungen – nun kam neben dem Weiß auch ein kräftiges Rot hinzu: Wie Blutstropfen sahen die prachtvollen, scharlachroten Blüten des Feuerbuschs aus, der in der Lichtung wuchs, ebenso wie die handgroßen, hängenden Blüten der Scharlachfuchsie. Nicht ganz so rot, sondern gelborange schimmerte eine andere Blume, die sie nicht kannte.
Lukas ließ sich neben sie auf einen umgeknickten Baumstamm fallen. »Es ist schön«, meinte er knapp. »Wunderschön, trotz allem.«
Elisa hob verwundert den Kopf. Nie hätte sie von Lukas erwartet, dass er sich an Blumen erfreute.
»Wenn sie uns nur den Weg weisen würden zu diesem See«, seufzte sie.
Sie hörte, wie Taddäus und Fritz lautstark diskutierten, offenbar über die Richtung, die sie einzuschlagen hätten. Barbara warf etwas ein, aber an ihrer gerunzelten Stirn las Elisa, dass sie sich ihrer Sache nicht sicher war.
»Antiman nennt den See Teufelssee«, sagte Annelie, die sich endlich auch ein wenig Ruhe gönnte. »Einer der Vulkane, die ihn umgeben, ist vor vielen Jahren ausgebrochen, und seitdem treiben böse Geister dort ihr Unwesen.«
»Ach, sei doch still!«, fuhr Jule sie an. »Es gibt keine Geister. Man lebt oder stirbt, und wenn wir den See nicht finden, dann sterben wir.«
Furcht stieg in Elisa hoch und fühlte sich so klamm und kalt an wie das Moos, auf dem sie saß. Was, wenn sie wochenlang durch das Dickicht irren würden, bis sämtliche Vorräte aufgebraucht wären?
Lukas schien ihre Bedenken nicht zu teilen. Als Fritz den Befehl zum Weitermarsch erteilte, sprang er auf und streckte ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. »Komm!«, rief er. »Wir werden es schon schaffen!«
Poldi schüttelte sich wie ein nasser Hund. Nach der nunmehr vierten Nacht, die sie unter Bäumen überstanden hatten, hatte er das Gefühl, nie wieder trocken zu werden. Sämtliche Glieder schmerzten ihm, und sein feuchtes Haar klebte an seinem Gesicht. Als er mit der Hand darüberfuhr, spürte er, wie etwas Dunkles an seiner Stirn hängen
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