Im Land der Feuerblume: Roman
Tief sog er Atem ein, dann begann auch er zu singen – ein Volkslied aus Schwaben.
Jetzt gang i ans Brünnele,
Trink aber net,
Do such i mein herztausige Schatz,
Find’n aber net.
Da lass i meine Äugelein
Um un um gehn,
Do seh i mein herztausigen Schatz
Bei nem and’re stehn.
Sie lachte so glockenhell wie vorhin, und wieder wurden seine Wangen glühend rot.
»Hübsch singst du, auch wenn die Stimme ein wenig schief ist. Ist noch nicht lange her, dass du im Stimmbruch warst, nicht wahr?« Halb zärtlich, halb neckisch strich sie ihm über sein struppiges Haar. Poldi zuckte unwillkürlich zurück, als würde er sich verbrennen.
»Sing’s noch mal!«, rief sie ihm zu.
Er wiederholte die Strophe, und diesmal stimmte sie mit ein und glich all seine missratenen Töne aus.
Sie hat recht, dachte er nach einer Weile, da er weder auf den Weg geachtet hatte noch auf die schmerzenden Knochen, noch auf die Nässe. Sie hat recht, das Singen macht das Gehen leichter.
Vielleicht nicht nur das Singen, sondern ihr Lachen und ihre Grübchen.
In den letzten Monaten hatte er kaum eine Frau lachen gesehen. Christine und Jule hatten diese grimmig entschlossene Miene aufgesetzt, Elisa war in den letzten Monaten immer ernster, in sich gekehrter geworden. Greta glich einem Gespenst, Christl war ständig am Nörgeln, und Lenerl kam in ihrer Freudlosigkeit ganz nach Fritz. Das Katherl lächelte, aber es steckte andere nicht damit an. Und Annelies Gekicher wirkte immer etwas verkrampft.
Barbara Glöckner aber lachte und sang aus vollem Herzen.
»Jetzt bringe ich dir ein Tiroler Lied bei, und das geht so!«, rief sie entschlossen.
Sie kam nicht über den ersten Vers heraus, dann verstummte sie unvermittelt. Der Zug kam ins Stocken, blieb schließlich stehen. Vorne erklangen wütende Männerstimmen.
Barbara und Poldi sahen, wie Fritz unsanft die Bahre abstellte, auf der sein Vater lag. Bisher war er immer äußerst behutsam vorgegangen, doch nun verzerrte Ärger sein Gesicht. Jakob schien von der Erschütterung nichts zu merken, er schlief, und als Poldi ihn betrachtete, war er kurz neidisch auf ihn. Wie angenehm wäre es, liegend durch den Wald getragen zu werden! Ihm selbst taten die Füße mittlerweile so weh!
Wütend trat Fritz eben auf Taddäus Glöckner zu.
»Ich habe doch gesagt, dass wir die andere Richtung hätten nehmen müssen.«
»Wenn du alles besser weißt, dann geh doch du voran!«, gab Taddäus ungewohnt heftig zurück.
»Nun streitet euch nicht!«, warf Christine ein. Selten hatte Poldi die Mutter mit derart zerrupften Haaren gesehen. Der sonst fest geflochtene Knoten hatte sich gelöst, und die Strähnen hingen genauso wirr über den Rücken wie ansonsten nur bei Elisa.
Fritz und Taddäus starrten sich finster an.
»Wir werden nie wieder aus diesem Wald herausfinden«, zischte Fritz. »Wir werden erbärmlich zugrunde gehen.«
»Lass uns doch einfach nach Norden gehen!«
Sichtlich zögernd hob Taddäus die Hand und deutete in eine Richtung.
»Pa!«, knurrte Fritz. »Heute Morgen bist du dir auch sicher gewesen, wohin wir gehen sollten … und jetzt das.« Er stampfte auf den Boden auf, Schlamm spritzte hoch.
Poldi trat zu Elisa, die wie alle anderen betreten dem Streit lauschte. »Was ist denn passiert?«
Elisa seufzte. »Wir sind die ganze Zeit im Kreis gegangen«, sagte sie. »Siehst du diesen Baum dort – mit dem gespaltenen Stamm, aus dem Unmengen von Pilzen herausquellen? Schon heute Morgen sind wir daran vorbeigekommen.«
Sie seufzte noch einmal, als sie einen Blick auf ihre Eltern warf. Richard von Graberg, so befand Poldi, sollte man wohl auch am besten auf einer Bahre durch den Wald tragen, so erschöpft sah er aus. Und Annelie wirkte so dünn, als würde sie in jedem Augenblick entzweibrechen. Nur Lukas, der auch dann noch an Elisas Seite verharrt war, als der Zug ins Stocken gekommen war, versuchte, einen entschlossenen Eindruck zu machen. »Wir schaffen es schon«, murmelte er ein ums andere Mal. »Wir schaffen es schon.«
Fritz schien anderer Meinung zu sein. »Also«, fuhr er Taddäus an. »Traust du dir nun zu, den Weg zu finden, oder nicht?«
»Die Frage ist doch eher: Traust du es mir zu? Wenn du alles besser weißt, dann geh du in die eine Richtung und ich in die andere – und die Übrigen sollen entscheiden, wem sie folgen wollen.«
Fritz schien dem Vorschlag etwas abgewinnen zu können, denn er nickte nachdenklich.
Christine hingegen rief schrill dazwischen: »Was
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