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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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aus – die gleiche Verwirrung, wie sie auch Viktor selbst überkam. Wie hatte er es nur geschafft, der Faust des Vaters zu entgehen?
    Plötzlich wusste er es. Es war der Zorn auf die anderen Siedler, der ihn so blitzschnell und wendig gemacht hatte; es war das Wissen, dass sie ohne seine Hilfe Konrad Weber hoffnungslos ausgeliefert gewesen wären. Vor allem aber war es Angst, pure, nackte Angst. Wenn der Vater sie zurückhielt, so würden die Siedler gehen, ohne sich ein einziges Mal nach Greta und ihm umzublicken. Ganz gleich, was Christine vorhin gesagt hatte – niemand würde sie vor Lambert retten, wenn nicht sie selbst.
    »Verflucht!«, brüllte der Vater. Er hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden, ging erneut auf ihn los, hob die Faust. Viktor blieb so lange ruhig stehen, bis er den heißen Atem spüren konnte, dann duckte er sich, drehte sich blitzschnell und trat Lambert gegen das Schienbein. Obwohl er gewarnt hätte sein müssen, hatte der nicht damit gerechnet, dass sein Sohn sich ein zweites Mal widersetzte. Er brüllte auf, vor Zorn, vor Schmerz, sackte auf die Knie und hielt sich das schmerzende Bein. Viktor staunte. Hatte er den Vater wirklich zu Fall gebracht? Oder war dieser über etwas gestolpert – einen Gegenstand, den Viktor nun plötzlich in der Hand hielt, ohne genau zu wissen, was es war und wann er es an sich genommen hatte, auch ohne zu wissen, was er damit tun konnte. Das Einzige, was er wusste, war, dass sie verloren waren, wenn er den Vater nicht bezwingen konnte.
    Da hob er die Hand und schlug ihm den Gegenstand auf den Schädel. Erst als Lambert aufheulend nach vorne sackte, betrachtete er seine Waffe. Es war eine Hacke, mit der die Siedler die Bäume fällten, und in der Hast und Panik hatte er sie verkehrt herum gehalten: Mit dem stumpfen Holzstück hatte er auf seinen Vater geschlagen, wohingegen das obere, scharfe Ende sich in seine Finger schnitt.
    »Mein Gott«, stieß er aus. Unmöglich, dass er eine Hacke in den Händen hielt und damit auf den Vater eingeschlagen hatte! Unmöglich, dass es sein Blut war, das auf den Boden perlte!
    Plötzlich stand Greta neben ihm. Er nahm sie erst wahr, als sie ihm die Hacke aus der Hand nahm, sie umdrehte und ihm zurückgab. Nun lag sie richtig in den Händen. Den stumpfen Holzgriff konnte er ohne Schmerzen halten.
    »Viktor …«, murmelte sie. Es klang so leise wie vorhin, da sie ihn um Verzeihung gebeten hatte, weil sie dem schlafenden Vater nicht rechtzeitig entwischt war.
    »Geh zu den anderen, ich bitte dich«, sagte Viktor schnell.
    »Nein«, sagte sie, »ich bleibe.«
    Der Vater stöhnte. Nicht mehr lange, und er würde sich aufrappeln, ungeachtet des schmerzenden Schienbeins, ungeachtet des Schlages, den er auf den Kopf erhalten hatte. Viktor starrte auf die Hacke in seinen Händen. Das Gewehr hatte er vorhin nicht ordentlich halten können, doch nun war ja Gretas beschwörender Blick auf ihn gerichtet, der jedes Zittern beschwichtigte, jede Furcht, jedes Entsetzen.
    »Tu es!«, befahl sie. Der Hauch ihres Atems traf ihn warm. »Tu es!«
    Einen Augenblick lang streifte ihn die Ahnung, dass es keinen Menschen gab, der so gefährlich war wie Greta, so unheimlich, so kalt, so gnadenlos – weder sein Vater noch Konrad Weber, noch irgendeiner der anderen Siedler. Zu schlagen und notfalls zu töten traute er ihnen zu – doch nicht ohne das geringste Mitleid.
    »Tu es«, sagte sie wieder, und diesmal vertrieb ihre heisere Stimme jeden Gedanken. Wie ausgehöhlt war sein Kopf, als er die Hacke hob und zuschlug. In seinem Kopf rauschte das Blut, und abermals war es das einzige Geräusch, das er vernahm. Die Furcht fiel von ihm ab; das Grauen blieb aus, weder vor dem, was er tat, noch vor Greta, die es ihm befohlen hatte. Er schlug einfach zu, immer und immer wieder, so wie er manchmal auf Scheite geschlagen hatte, um sie klein zu hacken.
    Er sah nicht hin, wusste nicht, ob die Hacke seinen Vater traf und wo, starrte nur fortwährend auf Greta, und Greta nickte. Greta lächelte.
    Das erste Geräusch, das er nach langer Zeit wieder vernahm, war das Poltern, als ihm die Hacke entglitt.
    Eine warme Lache umfloss seine Füße. War es Blut vom Vater, oder hatte er sich schon wieder in die Hose gemacht?
    Der Vater hatte ihn jedes Mal verprügelt, wenn er seine nasse Hose bemerkt hatte.
    Nun würde der Vater ihn nie wieder verprügeln.
    Viktor versuchte, einen Schritt zu machen, aber er schaffte es nicht. Die Lache kühlte aus, aber er konnte

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