Im Land der Feuerblume: Roman
muss erst die Erde von den vielen Wurzeln befreit werden. Was die Arbeit leichter macht: Die Bäume haben hier selten tiefgehende Wurzeln. Was das Ganze erschwert: Der Boden ist von ungemein vielen Schlingpflanzen und dornigem Gestrüpp verdeckt. Beides blüht wunderschön, und doch haben wir darauf geflucht! Ich kann dir nicht sagen, wie oft ich gefallen bin und wie oft abends mein ganzer Leib mit Kratzern und blauen Flecken übersät war! Längst tut es mir nicht mehr weh, die Rodehaue zu halten. Die Haut an meinen Händen ist dick geworden, Blasen habe ich so gut wie keine mehr.
Als der Boden nun endlich vom Wurzelwerk befreit war, und all das Holz von den Baumstämmen, den Ästen und den Schlingpflanzen säuberlich nebeneinander geschichtet lag, gab es einen großen Streit. Die einen meinten, man solle alles niederbrennen, weil der verbrannte Boden, der zurückbliebe – man nennt ihn hierzulande Roce – ungemein fruchtbar wäre und man hier die Samen setzen könne. Die anderen sagten, man solle lieber warten, was aus jenen Samen werde, die wir schon in den ersten Wochen in der lockeren Erde der Waldlichtungen gesät haben – weniger, um damit möglichst großen Ertrag zu erzielen, sondern um herauszufinden, wie im hiesigen Klima das Getreide wächst.
So viele Fragen waren offen, und es gab niemanden, der sie beantworten konnte. Würden die Winter hier am See so feucht sein wie der erste, den wir erlebt haben? Würde der Wind nicht sämtliche Asche verwehen, wenn wir uns tatsächlich für die Brandrodung entschieden? Sollten wir auf Weizen, auf Hafer oder doch auf Roggen setzen?
Wir sprachen stundenlang darüber, und es gab viel Unfrieden, ehe Entscheidungen getroffen wurden. Kein Wunder, dass solch schlechte Laune vorherrschte: Die Arbeit erschöpfte uns; die Mägen wurden niemals satt, unsere Kleidung war zu dünn und ständig zerrissen. Die ersten Hütten boten kaum Schutz gegen den Regen, geschweige denn gegen den Wind. Insbesondere die Nordstürme sind kräftig, und wir haben ganze Nächte lang gebangt, ob uns womöglich ein Ast erschlagen würde. Wir schliefen auf nacktem Boden – und abwechselnd, weil dies noch den meisten Komfort verspricht, in jenen Kisten, mit denen die Männer aus Melipulli das Saatgut und die ersten Rationen herbeigeschafft haben.
Mittlerweile bauen wir an besseren Häusern, und auch hier gälte es, die Mühsal, das Hoffen und Bangen in vielerlei Worte zu fassen, doch kaum kann ich die Feder noch halten, so ungeübt ist mir das Schreiben geworden. Zu solch einer Frau also bin ich geworden: einer, die stundenlang die Harke halten kann, aber nicht mal die Hälfte dieser Zeit die Schreibfeder.
Lass mich also kurz zusammenfassen, dass wir demnächst nicht nur unter ordentlichen, mit Alerce-Schindeln beschlagenen Dächern schlafen werden, sondern dass wir mittlerweile auch die erste Ernte eingefahren haben. Jene, die unermüdlich für die Brandrodung eintraten (und sich am Ende durchsetzten), haben nämlich recht behalten: Es ist guter, fruchtbarer Boden daraus erstanden, den wir vor einem halben Jahr erstmals beackern und besamen konnten. Satt werden wir von dem, was die Erde hergibt, noch nicht, aber die Angst, dass wir alle hungers sterben werden, hat sich gemindert.
Und so wie nach der ersten Not unser Sinn dafür erwacht ist, dass es neben unserer kleinen Welt noch eine andere größere da draußen gibt – so schien auch diese Welt auf uns aufmerksam zu werden. Es hat sich herumgesprochen, dass am westlichen Seeufer Bauern leben, die ordentlichen Weizen anbauen – und genau diesen braucht ein gewisser Carlos Anwandter aus Valdivia zum Brauen seines Biers, vielleicht kennst Du ihn. In seinem Namen sind unlängst Männer zu uns gekommen und wollten mit uns handeln. Nun, Weizen konnten wir nicht abgeben, uns würde sonst das Brot fehlen – aber ich habe sie eingehend nach Dir befragt. Der eine meinte, er kenne einen Cornelius, ob dieser freilich auch Suckow hieße und an der Seite eines Pastors lebte, wüsste er nicht.
Seitdem versuche ich mit allen Mächten, das Flämmchen der Hoffnung am Leben zu halten, dass tatsächlich Du es bist, von dem er sprach. Ach, Cornelius, Du musst es einfach sein! An jedem einzelnen Tag, nachdem ich von Dir scheiden musste, habe ich an Dich gedacht – und es waren viele Tage, oft traurige, leere, sehnsuchtsvolle.
So habe ich nun einem dieser Männer den Brief mitgegeben. Das Papier habe ich von Jule, die es wiederum einem von ihnen
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