Im Land der Feuerblume: Roman
auch dann nicht damit aufhörte, wenn beide sich dagegen wehrten – Andreas, weil er zu alt war, um von der Mutter wie ein Kind behandelt zu werden, Resa, weil sie so unnahbar war wie ihr Vater. Christine hatte ihn zwar oft an sich gepresst, aber nie so lange und so liebevoll gehalten, und wenn Poldi das sah, so hatte er die beiden glühend beneidet.
Nur einmal von Barbara so berührt, gestreichelt, umarmt zu werden …
»Du machst dich lächerlich«, knurrte sie plötzlich. »Dich … und mich auch.«
Sein Ärger verflüchtigte sich, desgleichen sein Trotz. Nicht einmal mehr Scham mochte ihr Blick erzeugen – nur Sehnsucht nach ihrer Nähe. Sie wurde so stark, dass ihm der Mund austrocknete. »Ich … ich kann doch nichts dafür«, stammelte er.
»Wofür?«, fragte sie barsch.
Ihm fehlten die Worte, er konnte jene Sehnsucht nicht erklären, die seinen hektischen Herzschlag durch den ganzen Körper jagte und mit ihm eine ebenso peinvolle wie herrlich wohlige Hitze.
Er würde daran ersticken, gab er ihr nicht nach. Unvermittelt trat er noch näher an sie heran, packte sie einfach an den Schultern, neigte den Kopf vor und küsste sie mitten auf den Mund. Was er tat, war so ungeheuerlich, dass er nicht aufhören konnte, denn dies hätte bedeutet, darüber nachdenken zu müssen. Aber denken wollte er nicht, nur fühlen: diesen weichen, feuchten, warmen Mund, der sich nicht zusammenpresste, wie er befürchtet hatte, sondern sich öffnete und seinen eigenen fordernden Lippen nachgab – sehr kurz nur, zu kurz, um später zu sagen, ob es nicht bloß eine Sinnestäuschung gewesen war.
Dann schon zuckte Barbara zurück, schlug seine Hände weg – erst jetzt bemerkte er, dass sie wahrscheinlich voller Schlamm waren und sie sich beschmutzt hatten – und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Er war gewohnt, dergleichen einzustecken, aber konnte sich nicht erinnern, jemals derart getaumelt zu sein, wenn seine Mutter ihm einen klatschenden Schlag versetzte.
»Bist du verrückt geworden?«, schrie sie. »Tu das nie wieder, du ungezogener Bengel!«
Sie stampfte auf, Schlamm spritzte hoch. Er fühlte immer noch ihre Finger auf seiner Wange, doch noch mehr als diese glühten seine Lippen.
Er hatte sie geküsst.
Er hatte Barbara berührt und gehalten und geküsst.
»Es tut mir nicht leid, was ich getan habe«, murmelte er trotzig und hielt ihr herausfordernd das Gesicht hin. Sollte sie nur ruhig noch einmal zuschlagen. Wenn das ihre einzige Art war, ihn zu berühren – nun, dann wollte er das gerne hinnehmen, Hauptsache, er konnte ihr nahe sein und sie spüren. »Es tut mir nicht leid.«
Eine Weile blieb sie starr stehen. Es war zu dunkel, um den Ausdruck ihres Gesichts zu erkennen, doch dass sie ihren Kopf nicht mehr schüttelte wie vorhin, das sah er genau. Er hörte, wie sie heftig atmete, und schnappte selbst gierig nach Luft. Dann drehte sie sich wortlos um und stapfte zum Haus zurück.
Die Nachtluft schmerzte in Elisas Kehle, und auf ihren nackten Unterarmen stellten sich sämtliche Härchen auf. Dennoch nahm sie lieber das Frösteln in Kauf als die dunstige Wolke, in der ihr Kopf festzustecken schien und die nun augenblicklich zerstob. Die Enge, die vielen Stimmen, die Wärme, vor allem aber Lukas’ Blick waren ihr zu viel geworden.
Nach seinem Antrag hatten sie noch eine Weile schweigend getanzt. Ihre Miene hatte keinerlei Regung verraten; sie hatte sich lediglich darum bemüht, ein wenig mehr Abstand zu seinem Körper zu wahren.
»Du sagst ja gar nichts«, hatte er schließlich festgestellt – nicht vorwurfsvoll, sondern gleichmütig wie immer.
»Lukas …«, setzte sie hilflos an.
»Du musst auch gar nichts sagen«, erklärte er rasch. »Ich wusste nicht, dass ich dich damit überrasche. Ich dachte, dass du es schon seit langem erwartest. Ich will dich nicht drängen. Lass dir Zeit.«
Die Worte hallten in ihr nach.
War sie wirklich so blind gewesen? War sie womöglich die Einzige gewesen, der es nicht förmlich in die Augen sprang, welch vorzügliches Paar sie abgeben würden? Richard hatte vorhin gelächelt, als er sie mit Lukas hatte tanzen sehen. Und Christine auch – Christine, die sie immer gerne bei sich hatte, die ihren Fleiß und ihre Tüchtigkeit bewunderte und lieber auf sie setzte als auf die eigenen Töchter.
Mit keinem hatte sie in den letzten Monaten so viel Zeit verbracht wie mit Lukas. Sie hatten eng zusammengearbeitet und sich dabei wunderbar ergänzt. Nie hatte es
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