Im Land der Feuerblume: Roman
die farbenprächtigen Ponchos mit langen Fransen, die sie trugen. Manch einer hatte ein Stirnband aus Leder um den Kopf gebunden, andere Tücher.
So starr waren ihre Blicke auf den Weg vor sich gerichtet, dass sie den ihren nicht bemerkten. Sämtliches Geschrei war verstummt; ihre Gesichter waren nicht mehr hassverzerrt. Sie waren zwar nach fremder Tracht gekleidet, wirkten jedoch wie gewöhnliche Männer. Nichts schienen sie mit den Ungeheueren gemein zu haben, die eben das Dorf überfallen, die Ernte zerstört und die Ställe in Brand gesetzt hatten, die schließlich auf ihren Vater losgegangen waren, auf Taddäus Glöckner, auf Lukas …
Als die Erinnerung an das Grauen mit ganzer Wucht zurückkehrte, quollen Tränen über Elisas Wangen. Sie ließ den Kopf wieder sinken, bezwungen von noch größerer Übelkeit und Entsetzen.
Plötzlich hörte sie nicht weit von sich ein Lachen – ein heller, warmer Ton, mit dem sie in ihrem Elend nicht gerechnet hatte.
»Katherl?«, presste sie hervor.
Abermals hob sie den Kopf – und tatsächlich war es die schwachsinnige Steiner-Tochter, die man ebenfalls über ein Pferd geworfen hatte und die sich an dieser rüden Behandlung nicht zu stören schien. Und das Katherl war nicht die einzige weitere Gefangene. Elisas Blick kreuzte sich mit dem ausdruckslosen, nahezu erloschenen von Magdalena.
»Magdalena …«
Übermächtig wurden Übelkeit und Schmerzen, und als Elisa den Kopf sinken ließ, wurde es wieder schwarz um sie.
Als sie erwachte, lag sie nicht mehr auf dem Pferd, sondern auf sandigem Boden. Heißer Atem traf sie, und sie spürte eine Hand über ihre Wange streicheln. Mit einem Aufschrei fuhr sie hoch, um wild um sich zu schlagen und sich gegen den Angreifer zu wehren.
»Elisa!«, brachte eine vertraute Stimme sie zum Innehalten. »Elisa, ich bin es doch.«
Magdalena …, fiel es ihr wieder ein. Sie haben auch Magdalena mitgenommen …
Sie ließ die Hände sinken. Magdalena saß neben ihr und nicht weit davon das Katherl, die noch heller lachte als vorhin und es wohl ungemein lustig fand, auf welch abenteuerlichen Ausflug sie da geraten war. Ein stechender Schmerz fuhr Elisa in die Schläfen. Sie griff sich an den Kopf und fühlte, dass ihre Haare verkrustet waren – von Schlamm, vielleicht auch von Blut.
»Die Kinder … Was ist mit meinen Kindern?«, rief sie heiser.
»Es geht ihnen gut«, sagte Magdalena leise. Ihr Blick war immer noch ausdruckslos – so, als ginge sie das, was ihnen widerfuhr, nichts an. »Ich habe gesehen, dass Barbara sie versteckt hat.«
»Aber mein Vater … Lukas … Taddäus … Sind sie alle tot?«
Magdalena zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
Elisa sah sich um. Die Pferde beglotzten sie träge. Die Männer dagegen hatten sich über eine Quelle gebeugt, die nicht weit von ihrem Rastplatz plätscherte. Ob des Geräuschs von Wasser wurde Elisa bewusst, wie trocken und rissig die eigenen Lippen waren, aber sie wagte nicht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem sie um Wasser bat.
»Wohin bringen sie uns? Was haben sie mit uns vor?«
»Ich weiß es nicht …«
Magdalena schloss ihre Augen und begann, etwas zu murmeln; wahrscheinlich suchte sie wie so oft Kraft im Gebet. Katherl indes hörte nicht auf zu lachen.
Jule richtete sich auf und rieb sich den schmerzenden Ellbogen. Obwohl sie die letzte Stunde zusammengekrümmt in der Schule gekauert war, hatte sie das Gefühl, jeden einzelnen Schlag abbekommen zu haben, der einen der Siedler traf. Durch die Ritzen hatte sie alles beobachtet – wenn sie nicht gerade damit beschäftigt gewesen war, Christine gewaltsam davon abzuhalten, den anderen zu Hilfe zu eilen. Ihr Widerstand war bald erschlafft, erst jetzt blickte sie sie vorwurfsvoll an. »Hast mir fast alle Knochen gebrochen«, murrte sie.
Jule zuckte mit den Schultern: »Wär’s dir lieber gewesen, die Mapuche hätten es an meiner statt getan?«
Christine antwortete nicht, sondern stieß einen Schrei aus und stürzte davon. Als Jule ihr folgte, sah sie Lukas inmitten eines der zerstörten Felder liegen. Sie hatten beide gesehen, wie die Mapuche Richard erschlagen hatten, jedoch nicht, dass es auch Christines Sohn getroffen hatte. Während Christine sich über Lukas beugte, hielt Jule nach anderen Opfern Ausschau.
Nicht weit von der Schule sah sie Poldi und Barbara nebeneinander knien. Nahm sie zunächst noch an, es wären Schrecken und Aufregung, die sie hatten zusammenbrechen lassen,
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