Im Land der Feuerblume: Roman
sicher, dass der jüngere dabei unterlegen wäre –, erstarrte Poldi. Auch Cornelius zuckte zusammen, und schließlich nahm auch Fritz sie wahr – die schleichenden Schritte, die langsam, aber unausweichlich immer näher kamen und einen festen Kreis um sie zogen.
Cornelius fuhr herum. Bäume und Gestrüpp standen zu dicht, um Gesichter auszumachen, aber nun sah er zwischen den Ästen eine der Boleadoras – eine furchteinflößende Waffe der Mapuche.
Er hob beschwichtigend die Hände: »Ruhig, ganz ruhig«, murmelte er, weniger, um die lautlosen Angreifer im Zaum zu halten, als seine eigenen Begleiter zu beschwichtigen.
Bei Poldi stieß er dabei auf taube Ohren. Eben noch rasend vor Zorn auf seinen Bruder, bückte er sich rasch nach der Pistole und drehte sich wild im Kreis damit, bereit, notfalls auch ins Gebüsch zu schießen.
»Nicht!«
Es waren Cornelius und Fritz, die aus einem Mund schrien, aber es war Quidel, der zum lautlosen Sprung angesetzt hatte, Poldi zu Boden zog und ihm die Pistole aus der Hand riss. Nur knapp vor Cornelius’ Fußspitze kam sie zu liegen, doch er hob sie nicht auf, sondern blieb starr und mit erhobenen Händen stehen. Wieder raschelte es im Gebüsch, als sich die Mapuche erhoben, sich endlich zeigten und ihren Kreis um sie noch dichter zogen.
Quidel ließ rasch von Poldi ab, trat ihnen entgegen und redete in Mapudungun, der Sprache der Mapuche, auf sie ein. Cornelius versuchte, unter den Männern einen Anführer auszumachen, doch ihre Trachten glichen einander ebenso bis aufs Haar wie ihre unbewegten, ausdruckslosen, stolzen Gesichter. Sie wirkten nicht offen gewaltbereit, jedoch mit ihren Waffen durchaus bedrohlich.
Eine Weile sprach nur Quidel. Poldi, der sich langsam aufgerappelt hatte, wollte etwas dazwischenrufen, doch Fritz rammte ihm wütend den Ellbogen in den Leib, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Schließlich ertönte auch die Stimme einer der Männer, dunkel und kehlig.
»Was ist?«, fragte Fritz. Ihrer aller Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
»Wir sollen mit ins Dorf kommen«, erklärte Quidel knapp.
Er beugte sich, hob die Pistole auf und hielt sie weit vom Leib entfernt, zum Zeichen, dass er sie nicht als Waffe einsetzen würde.
Der Kreis der Männer lichtete sich ein wenig, so dass sie vorbeitreten konnten. Sonderlich freundlich war der Ausdruck ihrer Gesichter jedoch nicht geworden.
Nicht lange währte es, bis sie das Dorf erreichten. Quidel hatte Cornelius einst erzählt, dass sein Volk vor allem von der Jagd lebte und nur selten Ackerbau betrieb, doch hier schien es anders zu sein. Schafe und Ziegen grasten an den Rändern von Weizen-, Mais- und Gerstenfeldern. Sie kamen an einem Schweinekoben vorbei, und ein paar Hühner staksten über die Erde. An den Hütten rankten sich Bohnen hoch; in weiteren Beeten wurden Kartoffeln angebaut und etwas, was wie Pfefferschoten aussah.
In der Koppel hinter dem Schweinekoben sah Cornelius Tiere, die er nicht kannte – nicht so groß wie Pferde und dicht behaart, mit schwülstigen Lippen und geblähten Nüstern.
»Was ist das?«, fragte er verwundert.
Fritz war seinem Blick gefolgt. »Ich denke, das sind Lamas. Sieh zu, dass du Abstand hältst – sie spucken, wenn du ihnen zu nahe kommst.«
»Sie geben Milch und Wolle«, schaltete sich Quidel ein. »Früher, als wir noch keine Pferde und Rinder hielten, waren sie unsere wichtigsten Tiere. Jetzt sind die meisten verwildert. Leben in riesigen Herden in der Pampa.«
Cornelius ließ seinen Blick schweifen. Zwischen den Häusern standen vereinzelt auch Lederzelte. Die Haut der Menschen, die ihnen aus diesen entgegenkamen, war sonnengegerbt, aber nicht bei allen gleich dunkel. Manch einer war so weiß wie sie – er wusste nicht, ob das von einer Laune der Natur rührte oder davon, dass die Mapuche über Jahrhunderte Spanierinnen geraubt und sich mit ihnen vermischt hatten.
Einer der Männer war wiederum dunkelschwarz. Ein erstaunter Aufschrei entrang sich seiner Kehle.
»Ein Neger!«, rief Fritz – eher fasziniert als abfällig.
»Er kommt wahrscheinlich aus dem Norden Amerikas«, erklärte Quidel. »Viele Negersklaven fliehen von dort hierher nach Chile, gerade jetzt, da dort Bürgerkrieg herrscht. Mein Volk nimmt sie gerne auf und …«
Plötzlich verstummte Quidel. Ein Mann hatte sich vor ihnen aufgebaut; er war nicht unter denen gewesen, die sie vorhin umstellt und ins Dorf geführt hatten. Sein Gesicht war ausdruckslos wie das der anderen,
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