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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ritten, desto ursprünglicher und wilder wurde das Land. Nach der ersten Nacht begegneten sie keinem Menschen mehr, nur wilden Schaf- und Pferdeherden.
    Mehrmals bot Cornelius Quidel sein Pferd an, doch jedes Mal lehnte er es ab. Wenigstens drosselte Fritz fühlbar das Tempo, um den Mapuche nicht zu erschöpfen. Um die Mittagszeit des zweiten Tages, als die Sonne gnadenlos auf sie herabbrannte, sprang Cornelius von seinem Pferd, um zu Fuß neben dem Freund zu gehen. Der deutete in Richtung der schneebedeckten Kordilleren. »Wie ich es mir dachte. Sie sind in die Berge geritten.«
    »Und wenn wir sie finden?«, fragte Cornelius. »Was sollen wir dann tun? Denkst du, dass sie uns die Frauen wohlbehalten wiedergeben?«
    Quidel zuckte mit den Schultern. »Die Männer waren allesamt jung. Ich glaube nicht, dass ihr Kazike dabei war. Mit ihm müssen wir sprechen.«
    Cornelius hatte Quidel schon das eine oder andere Mal von einem Kaziken sprechen gehört, aber nie genau ergründet, wer das war. Da die Mapuche in kleinen Sippenverbänden lebten – größere Städte gab es nicht –, vermutete er, dass es eine Art Stammeshäuptling war, und genau das bestätigte Quidel, als Fritz nun nachfragte.
    »Unsere Sippen heißen Lobchen«, antwortete er. »Und jede Lobche hat einen Kaziken. Er ist der oberste Richter und Ratgeber. Er muss vernünftig sein, großzügig und gut reden können. Er ist dem Dorf wie ein Vater.«
    »Und es gibt niemanden, der über ihm steht?«
    »Die Lobchen eines Gebietes versammeln sich regelmäßig und wählen unter den Kaziken zwei Führer – die Toqui; einer ist für das Wohlergehen in Friedenszeiten verantwortlich, der andere in Kriegszeiten. Einst hatte Letzterer nur für kurze Zeit die Macht, denn Kriege zwischen den Stämmen währten nie lange. Aber dann kamen die Spanier … Und wann hat seither jemals Frieden geherrscht?«
    Die dunklen Augen glänzten traurig.
    »Aber Chile ist seit 1818 von Spanien unabhängig«, warf Fritz ein.
    »Und wenige Jahre später hieß es, dass die Mapuche dieselben Rechte bekämen wie jeder Bürger Chiles«, antwortete Cornelius an Quidels Stelle. »Aber kaum einer hat sich daran gehalten. Die spanischstämmigen Chilenen haben viele Mapuche versklavt und zur Minenarbeit gezwungen.«
    »Und jetzt«, fügte Quidel hinzu, »dringen sie in unser Gebiet vor und metzeln unsere Leute nieder.«
    »Pah!«, mischte sich Poldi plötzlich ein. Cornelius hatte nicht bemerkt, dass er dem Gespräch aufmerksam gelauscht hatte. »Es heißt doch, dass die chilenische Regierung den Indianern ihr Land abgekauft hat. Warum hätte sie es kaufen sollen, wenn sie es sich auch gewaltsam nehmen könnten?«
    »Das mag sein«, sagte Cornelius. »Aber Tatsache ist, dass die chilenische Regierung viel zu wenig bezahlt hat. Die Mapuche ihrerseits betrachten das Land nicht als persönlichen Besitz. Sie betreiben nur wenig Ackerbau. Wenn der Boden ausgelaugt ist, ziehen sie weiter. Sie wussten gar nicht, was sie taten, als sie der Regierung das Land überließen.«
    »Wenn sie nichts von Ackerbau verstehen, dann können sie uns wohl kaum vorwerfen, dass wir ihren Boden bewirtschaften. Ach«, Poldi ballte seine Hände zu Fäusten und hob sie zum Himmel, »wie sie unsere Felder niedergeritten haben! Wie sie die Tierställe angezündet haben!«
    »Das waren einige wenige«, sagte Cornelius, »das waren …«
    »Verfluchtes Indianerpack war das, so viel steht fest!«
    Cornelius wollte zu einer wütenden Entgegnung ansetzen, aber Fritz kam ihm zuvor.
    »Wenn du dich nicht beherrschen kannst, Poldi, dann dreh auf der Stelle um!«
    Poldi schwieg tatsächlich, ritt jedoch aus Protest fortan zwanzig Schritte hinter ihnen. Keiner sagte es, aber alle waren insgeheim erleichtert.
    »Du hast gesagt, dass die Männer die Frauen nicht töten werden«, sagte Cornelius, als Poldi aus ihrer Hörweite verschwunden war. »Aber müssen wir befürchten, dass sie ihnen … dass sie ihnen …« Er konnte es nicht aussprechen.
    »Dass sie ihnen Gewalt antun?«, schloss Quidel an seiner Stelle. »Nun, unsere Männer dürfen mehrere Frauen haben, und einst verhalf es ihnen zu großem Ansehen, wenn ein paar Spanierinnen darunter waren. Aber das ist lange her.«
    Fritz schüttelte den Kopf und machte ein gleichzeitig angewidertes wie besorgtes Gesicht.
    Quidel schwieg eine Weile, dann sagte er in die Stille hinein: »Dieser General Saavedra, der vor kurzem mit seinem Heer die Grenze Araukaniens überschritten hat,

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