Im Land der Feuerblume: Roman
Wenn ihr wüsstet, wohin ich einige getreten habe …« Emilia grinste.
»Schließlich habe ich geschrien, dass die Brigada de Policía längst informiert sei«, fügte Manuel hinzu, »und so haben sie endlich von uns abgelassen, und wir konnten davonlaufen.«
Elisa schüttelte den Kopf, als sie erkannte, dass die Sache auch böse hätte enden können. »Mein Gott!«
»Keine Angst, Mutter, es geht uns gut!«
Elisa konnte nichts mehr sagen, sondern zog ihn nur zitternd an sich. Als sie sein Gesicht genauer musterte, bemerkte sie eine Geschwulst an seinem Auge.
»Und dir ist wirklich nichts passiert?«
Auch Emilia, die eben noch spöttisch gelacht hatte, zitterten mit einem Mal die Beine.
»Es mag ja alles gut gegangen sein, aber ich bringe euch jetzt trotzdem zu einem Arzt«, verkündete Fritz. »Er soll euch gründlich anschauen.«
Die beiden widersprachen zunächst, doch es klang kleinlaut, und bald fügten sie sich.
»Ich komme mit!«, rief Elisa.
»Ich auch!«, sagte Cornelius.
Aber Fritz schüttelte den Kopf. »Ihr regt die beiden doch nur auf – und mich auch. Wenn ihr wirklich etwas Sinnvolles tun wollt, dann seht zu, dass etwas zu essen auf dem Tisch steht, wenn wir zurückkommen.«
Während Elisa das Mahl zubereitete, verstand sie erstmals, warum Annelie so gerne kochte. Ihr selbst war das immer eine lästige Arbeit gewesen, die sie meist der Stiefmutter überließ, doch nun war es das beste Mittel, sich abzulenken und die aufgewühlten Gefühle zu besänftigen.
Cornelius ging ihr zur Hand, doch sie tauschten sich nur mit Blicken aus, nicht mit Worten. Später war es an der Zeit, zu sprechen – jetzt galt es, einfach nur das Schweigen zu genießen, die Vertrautheit, die Entspannung, das Gefühl, da sämtlicher Hader, Feindseligkeit und Ohnmacht sich auflösten.
Auch als das Mahl zubereitet war und sie gemeinsam aßen – Fritz war mit den beiden Kindern noch nicht zurück und sie waren hungrig –, schwiegen sie immer noch.
Wie Mann und Frau sitzen wir zusammen, dachte Elisa, als sie sich vorstellte, welches Bild sie wohl boten – ein Bild, wie es hätte sein können … wie es nie gewesen war … durch wessen Schuld aber? Gretas Schuld? Viktors Schuld? Ihre eigene oder die von Cornelius? Und was noch wichtig schien: Konnte das, was in der Vergangenheit nicht möglich gewesen war, in Zukunft sein?
Cornelius blickte hoch, nachdem er seinen Teller leer gegessen hatte: »Die Wahrheit … niemand darf die Wahrheit je erfahren.«
Elisa nickte. Nur zu gut verstand sie seine Sorge um Emilia. Unmöglich durfte sie wissen, dass sie aus Inzest und Vergewaltigung hervorgegangen war.
»Wir können nicht zusammen sein«, setzte er leise hinzu. »Emilia würde es nicht verstehen, und …«
»Und auch wegen Greta ist es unmöglich, nicht wahr?«, unterbrach Elisa ihn leise. »Du fühlst dich ihr immer noch verpflichtet.«
Cornelius schüttelte zögernd den Kopf. »Ich … ich ertrage es nicht mehr bei ihr. In den letzten Jahren bin ich nur wegen Emilia immer wieder zurückgekehrt. Und dennoch … wir beide … du und ich … das ist unmöglich. Es darf nie auch nur der geringste Verdacht entstehen, dass Manuel mein Sohn ist. Denn dann würde Emilia entweder ihren Liebsten verlieren, oder ich müsste ihr sagen, dass ich nicht ihr Vater bin. Das geht nicht, verstehst du das?«
Elisa starrte auf ihre Hände. »Und was sollen wir tun?«, fragte sie.
Plötzlich standen sie beide gleichzeitig auf, blieben eine Weile starr voreinander stehen, dann bewegten sie sich aufeinander zu, so selbstverständlich, als hätte es nie die Jahre der Entfremdung gegeben. Ihre Hände trafen sich, dann ihre Münder; schließlich pressten sie ihre Leiber dicht aneinander.
Sämtliche Worte, die bekundeten, dass es unmöglich war, sich zu lieben, mochten vernünftig sein, aber die alte Sehnsucht konnten sie nicht bezwingen. Diese nahm sich einfach ihr Recht, trieb sie zusammen, und als sie sich küssten, schmeckten, hielten, fragte sich Elisa, wie sie ohne ihn weiterleben konnte.
»Niemand darf je die Wahrheit erfahren«, murmelte sie erstickt. »Aber wir kennen sie nun. Und das ist das Einzige, was zählt.«
»Zumindest in diesem Augenblick«, fügte er hinzu.
Eine Weile hielten sie sich nur, dann sahen sie sich an, versanken in den Augen des anderen. Elisa hob ihre Hand und streichelte über sein Gesicht. Seine Haut fühlte sich ledriger an – wahrscheinlich auch die ihre. Auch sonst hatte sich viel
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