Im Land der Feuerblume: Roman
verändert, seit sie sich das letzte Mal berührt hatten. Sämtliche Bewegungen fielen etwas steifer aus, ihr eigener Leib war nicht ausgezehrt wie damals nach dem Hungerwinter, sondern runder, aber auch schlaffer. Ihre Hände waren rauh, glichen ein wenig roten Krallen, wie sie befand, doch er zog sie nun an sich, küsste jeden Finger einzeln. Und dann zählte nur mehr das, was sich nicht verändert hatte: das Wissen, dass man zwar auch ohne den anderen leben konnte, nur nicht so vollkommen, nicht in sich ruhend, nicht im Gleichgewicht.
Kurz durchzuckte Elisa der Gedanke, dass Fritz mit den Kindern zurückkommen könnte – doch das, was sich während der vielen Jahre angestaut hatte, war stärker, lauter und begieriger. Sie gingen in den Nebenraum, wo Fritz ihnen ein Lager für die Nacht bereitet hatte. Mit einem Aufstöhnen sanken sie dort nieder, zogen sich die Kleidung vom Leib. Wieder hielten sie sich einer Weile nur, umklammerten sich dann immer fester, verschmolzen schließlich.
Ein Zittern erfasste Elisas Leib, heftiger als Furcht oder Kälte oder Schrecken es jemals beschwören könnte; zunächst war es fast unmöglich zu ertragen, dann löste es sich in Wärme auf, kehrte als sanftes Beben zurück, gemäßigter, aber lustvoller. Ihr Leib bäumte sich auf, fiel schließlich ermattet zurück. Sie schluchzte vor Glück. Und sie schluchzte, weil sie keine Ahnung hatte, wie lang dieses Glück währen würde.
42. KAPITEL
D er Arzt hatte Manuels und Emilias Verletzungen untersucht, doch keine schlimmeren Blessuren festgestellt. Als sie zurückkamen, waren sie vor allem hungrig – und anders als vorhin, als sie noch aufgeregt Emilias spektakuläre Flucht gerühmt hatten, schweigsam und kleinlaut.
Sie gaben es nicht zu, aber irgendwie wirkten sie erleichtert, dass ihr Abenteuer nun geendet hatte und sie in die Heimat zurückkehren würden.
Wenn Elisa Manuel anblickte, sah sie wenig von dem aufmüpfigen Sohn, der stets die Enge ihres Dorfs beklagte, sondern einen nachdenklichen jungen Mann, der schmerzhaft an seine eigenen Grenzen gestoßen war.
Wie lange diese Einsicht währen würde? Wann alte Unruhe wohl wieder erwachte?
Sie wusste es nicht, wusste nur, dass die Zuneigung und das Vertrauen der beiden zueinander echt und tief waren.
Trotz aller Sorgen freute sie sich für die beiden, dass es kein Hindernis mehr für eine Hochzeit gab. Den Gedanken daran, ob Emilia – als Kind von Inzest und darum womöglich nicht ganz gesund – vielleicht die falsche Frau für ihren geliebten Sohn sei, schob sie beiseite.
Aber was würde aus ihr und Cornelius nun werden?
Sie sah, dass auch er nachdenklich war, und er schien sichtlich erleichtert, als Fritz nach Quidel fragte.
»Ich habe vor fünf Jahren das letzte Mal von ihm gehört. Damals trieb er noch Handel mit Salz. Ich hoffe, es geht ihm gut. Aber sicher bin ich mir nicht.«
»Dieser verfluchte Saavedra!«, stieß Fritz aus.
Emilia hob erstmals den Kopf. »Wer ist Saavedra?« Im nächsten Augenblick errötete sie, als ginge ihr auf, dass sie sich mit solch einer Frage als ziemlich unwissend entblößte – sie, die sich noch vor wenigen Tagen zugetraut hatte, ein selbständiges Leben mit Manuel zu führen.
Elisa musste lächeln. So war sie einst auch gewesen, unbedarft und dennoch vorschnell, wenn es ums Reden oder Fragen ging. Sie musste daran denken, wie sie die englische Kreideküste mit Schnee verwechselt hatte und wie sie sich dafür geschämt hatten. Am Ende hatten sie dennoch beide gelacht – Cornelius und sie. Wehmut befiel sie, als sie sich und ihn auf dem Deck der Hermann III. stehen sah.
»Saavedra ist ein chilenischer General«, erklärte Cornelius. »Und er trachtet nun schon seit Jahrzehnten danach, die Mapuche immer weiter zurückzudrängen. Zunächst hat er nur einzelne Grenzposten in ihrem Land errichtet; dann hat er immer größere Gebiete besetzt und mit Spaniern besiedelt. Die Mapuche waren so verzweifelt, dass sie sogar einen König erkoren haben – nicht einen aus ihrem Volk, sondern einen französischen Abenteurer mit dem Namen Orélie-Antoine de Tounens. Er hat viele Jahre bei ihnen gelebt und ihnen versprochen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Doch gegen Saavedra war er machtlos. Vor etwa zehn Jahren hat dieser einen regelrechten Vernichtungskrieg begonnen. Er hat die Männer systematisch ermorden lassen, die Frauen und Kinder geraubt. Kälte, Hunger und Epidemien taten ihr Übriges, um die Mapuche deutlich zu
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