Im Land der Feuerblume: Roman
Unglück zu stürzen.
Elisa seufzte. »Ich weiß nicht, ob ich es kann.« Sie sah auf ihre rauhen, furchigen Hände. »Cornelius, wir haben so viel gemeinsam durchgestanden, aber nicht alles … nicht alles … Als wir damals am Llanquihue-See angekommen waren, war sein Ufer fast noch unbewohnt. Wir haben uns dieses Land ertrotzt, mit jedem Atemzug, mit jedem Herzschlag, mit jeder Regung unserer Hände. Diese Heimat zu haben war mir immer ein Trost. Und nun soll ich in der Fremde leben, wie eine Verbannte? Nun soll ich die Meinen womöglich über die Gründe belügen, warum ich das tue? Ich weiß, als ich jung war, habe ich auch alles Vertraute hinter mir gelassen und bin ins Ungewisse aufgebrochen. Es hat sich gelohnt, trotz allem hat es sich gelohnt. Aber ich weiß nicht, ob ich es noch einmal kann. Sich ein Mal von allen Wurzeln loszureißen genügt doch für ein Leben. Ich bin alt. Ich bringe keine Kraft auf, es ein zweites Mal zu tun.«
Sie sprach immer schneller, immer eindringlicher, so, als gelte es, nicht nur ihn zu überzeugen, sondern vor allem sich selbst.
Cornelius ergriff ihre Hände und drückte sie.
»Still«, unterbrach er sie. »Still. Du musst nichts sagen. Es ist so viel geschehen heute, so viel ans Tageslicht gekommen. Wir müssen erst einmal unsere Gedanken sortieren. Ich werde euch drei nach Hause bringen und dann zu Fritz zurückkehren. Und alles andere wird sich später zeigen. Wir müssen nicht hier und heute eine Entscheidung treffen. Wir werden uns schreiben … warten …«
Elisa lachte, um nicht zu weinen. »Das haben wir uns schon einmal versprochen.«
Wieder stand vieles im Raum, ohne gesagt zu werden. Damals hatte es ihnen kein Glück gebracht. Damals hatten sie das Versprechen nicht halten können.
»Diesmal ist es anders«, murmelte er.
Sie sahen sich an, so durchdringend, als gelte es, möglichst viel vom Anblick des anderen aufzunehmen und in die Erinnerung einzubrennen, um später davon zu zehren. Mit einem Aufseufzen ließ Elisa ihren Kopf an seine Brust sinken.
»Diesmal ist es anders«, wiederholte sie seine Worte.
Jule wrang das Tuch aus. Augenblicklich färbte sich das Wasser in dem Eimer, der vor ihr stand, rot.
Annelie trat zu ihr und beugte sich über ihre Schultern. »Und wie steht es? Geht es ihr besser oder schlechter?«
Jule zuckte mit den Schultern. »Was ist schon besser oder schlechter für eine wie Greta? Vielleicht wäre es am besten gewesen, sie wäre tot.«
»Sprich doch nicht so!«, rügte Annelie sie. »Die anderen wollen einfach nur wissen, ob sie überleben wird.«
Sie deutete hinaus, wo sich ein kleines Grüppchen gebildet hatte. Jacobo war dabei, und obwohl sie nun schon einige Tage zurücklag, rühmte er sich immer noch seiner Heldentat – einer Heldentat, die eigentlich gar keine war, wie Annelie befand. Schließlich hatte Kathi Steiner Greta in der Blutlache liegend gefunden. Ohne sie wäre sie wohl längst tot. Jacobo hatte nichts anderes getan, als sie unter Murren hierherzutragen, und das nur, weil Kathi zufällig als Erstes zu ihm gerannt war. Kaum war er das lästige Gewicht los, platzte er vor Stolz darüber, was er geleistet hatte.
Annelies Blick ging zu Christl, die neben dem Sohn stand. Hätte sie Jacobo bloß zu ein wenig mehr Bescheidenheit erzogen! Und Resa ihre Töchter zu ein wenig mehr Gelassenheit! Wie gackernde Hühner führten Frida und Theres sich auf – einzig Kathi war immer noch über ihren Fund geschockt und wirkte bleich und starr.
»Ja«, beantwortete Jule ihre Frage. »Ja, sie wird überleben. In den ersten Tagen war ich mir nicht sicher, ob ihre Knochen heil geblieben sind. Aber es war wohl wirklich nur eine Platzwunde – wenn auch riesig. Dass sie immer noch blutet, macht mir ein wenig Sorgen, aber das wird irgendwann aufhören. Gewiss wird ihr der Schädel noch über Wochen brummen, was wiederum bedeutet, dass sie noch mürrischer sein wird als sonst. Und noch unberechenbarer und verrückter. Wobei sich nicht genau sagen lässt, ob eine Steigerung möglich ist, denn Greta war immer schon unberechenbar und verrückt. Was wiederum zu der Frage führt, ob es nun gut oder schlecht für sie ist, dass der, der sie erschlagen wollte, dieses so stümperhaft durchgeführt hat.« Jule schüttelte empört den Kopf. »Mit einem Stück Holz! Obendrein dem einer Araukarie! Obwohl jeder weiß, wie weich die Rinde ist. Einen Stein hätte man nehmen müssen.«
»Wenn denn tatsächlich jemand versucht hat, sie zu
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