Im Land der Feuerblume: Roman
dezimieren.« Er schüttelte empört den Kopf.
»Ich hoffe so sehr, dass Quidel und die Seinen einen sicheren Ort gefunden haben, wo sie in Frieden leben können«, sagte Fritz leise.
Sie waren alle betroffen und beendeten schweigend das Mahl.
Später erzählte Fritz von den vielen deutschen Ärzten, die nach der Gründung des deutschen Krankenhauses in Valparaíso eingetroffen waren und die sehr fortschrittlich dachten – schon 1840 erfolgte der erste Eingriff unter Narkose. Das Krankenhaus befände sich auf luftiger Anhöhe, und er wäre als Apotheker oft dort gewesen.
»Und nun arbeitest du gar nicht mehr als Apotheker, sondern nur mehr für die Zeitung?«, fragte Elisa. »Fehlt dir das gar nicht?«
»Ach was!«, rief er mit einem leichtfertigen Tonfall aus, den Elisa nicht an ihm kannte. »Zeit kommt und geht und mit ihr die Aufgaben.«
Emilia gähnte, und auch Manuel wirkte erschöpft, doch ehe Fritz aufstand und sie zu ihrer Schlafstatt führte, sprach er jenes ernste Wort mit ihnen, auf das Elisa und Cornelius an diesem Abend eigentlich hatten verzichten wollen.
»In der Welt kann nur bestehen, wer möglichst viel von dieser Welt weiß«, begann er mahnend. »Es ist nicht nur schlimm, was euch zugestoßen ist, sondern auch, dass ihr es gar nicht habt kommen sehen und euch ausreichend dagegen gewappnet habt.«
Emilia errötete, aber Manuel hob trotzig den Kopf. »Müssen junge Frauen denn damit rechnen, hier jederzeit in ein Bordell verschleppt zu werden?«
Fritz runzelte die Stirn. »Das vielleicht nicht. Aber was ihr nicht wisst: Seit Monaten befindet sich Chile im Krieg mit Peru. Bei euch am See wird man nicht viel davon merken, und auch Valparaíso blieb von den Kämpfen bis jetzt verschont – aber an jeder Ecke rekrutiert die Armee Männer, und nicht immer sind es Freiwillige, die sie zusammentreiben.«
»Ein Krieg?«, fragte Emilia entsetzt.
»Er hat damit begonnen, dass Chile Antofagasta besetzte, obwohl das zu Bolivien gehört. Und Peru wiederum war ein Bündnispartner von Bolivien und hat eingegriffen«, erklärte Cornelius.
»Ungeachtet des Krieges«, fuhr Fritz streng fort, »in Valparaíso leben viele Arme. Vor einigen Jahren sind etliche Banken bankrottgegangen, und der Kupferexport ging stark zurück. Viele Chilenen fanden keine Arbeit mehr. Die einen sind ausgewandert. Andere haben sich zu Diebesbanden zusammengeschlossen. Die Welt ist wohl nirgendwo ein sicherer Ort, doch hier am allerwenigsten. Das solltet ihr wissen.«
Emilia war mittlerweile dunkelrot angelaufen, und selbst Manuel ließ den Kopf wieder sinken.
Fritz ersparte sich weitere Schelte und brachte die beiden ins Bett.
Elisa und Cornelius blieben mit ausreichendem Abstand sitzen. Eben noch hatte sie sich wohlig und entspannt gefühlt – nun überkam sie tiefe Hoffnungslosigkeit.
»Was … was wird nun?«, stammelte sie.
»Ich kann nicht zurückkehren«, brach es aus Cornelius hervor. »Ich kann es einfach nicht. Ich ertrage diese Verlogenheit nicht mehr … und Greta schon gar nicht. Vielleicht sollte ich nicht so denken, vielleicht bin ich es Emilia schuldig, den Frieden zu wahren. Aber Emilia ist fast erwachsen, und sie hat Manuel. Die beiden werden glücklich werden, und ich werde sie besuchen. Aber ich kann nicht mehr am See leben.«
»Wo willst du denn stattdessen leben?«, fragte Elisa mit erstickter Stimme. Sie verstand ihn ja so gut, erahnte erst jetzt, was es ihn gekostet haben musste, all die Jahre diese Lüge aufrechtzuerhalten und sich Gretas Launen auszusetzen – aber zugleich brach es ihr das Herz, wenn sie daran dachte, ohne ihn heimkehren zu müssen.
»Ich war doch in den letzten Jahren schon mehr Händler als Bauer, und ich war es so viel lieber. Ich kenne viele Menschen, ich habe Beziehungen. Vielleicht kann ich hier für das deutsche Handelshaus in Valparaíso arbeiten. Mit Fritz’ Hilfe …« Er brach ab. »Ich werde euch bis Valdivia begleiten, aber dann werde ich hierher zurückkehren. Natürlich werde ich für Emilia und Greta sorgen, ich werde regelmäßig nach ihnen sehen, aber nun, da Emilia heiraten wird, werde ich nicht mehr bei Greta leben.« Er machte eine kurze Pause. »Elisa«, sagte er plötzlich mit heiserer Stimme. »Elisa, bleib bei mir.«
Er fügte nichts hinzu, aber sie wusste, was er dachte: Bleib bei mir, denn sonst gibt es keine Möglichkeit für uns, zusammen zu sein.
Am See konnten sie ihrer Liebe nicht nachgeben, ohne Greta bloßzustellen und die Kinder ins
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