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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Zorn hatten sie laut und kampfeslustig gemacht; die Niedergeschlagenheit, die darauf folgte, und die Sorge um Emilia und Manuel quälten sie.
    Schweigen senkte sich über sie, und je länger es währte, desto größer wurde ihre Anspannung.
    Erneut sahen sie sich an, nicht länger tadelnd oder misstrauisch, sondern vorsichtig, als müssten sie die Begegnung ihrer Blicke sorgfältig dosieren und könnten unmöglich zu viel Nähe standhalten. Doch je länger sie sich anstarrten, desto vertrauter wurden Elisa die Gefühle in Cornelius’ Miene. Die eigenen schienen sich darin zu spiegeln – Ohnmacht und Furcht, aber auch Kummer, nicht um die Kinder, sondern um sie selbst.
    Die Kehle wurde ihr eng.
    Lass Emilia heil zurückkommen. Lass Manuel nichts geschehen, betete sie insgeheim, und plötzlich setzte sie eine Bitte hinzu, die sie sich stets verkniffen hatte: Lass mich nicht länger in Feindschaft mit Cornelius leben. Ich will nicht mit ihm streiten. Ich will ihn nicht hassen.
    Sie rieb ihre Hände unruhig aneinander.
    »Warum?«, klagte sie. »Warum ist das nur passiert? Warum sind sie einfach gegangen, ohne etwas zu sagen?«
    »Weil sie keinen anderen Ausweg wussten.«
    Seine Stimme klang verzagt. Erst jetzt ging ihr auf, wie dicht sie beisammenstanden. So nahe war er ihr seit Ewigkeiten nicht gekommen. Sie konnte seinen Atem fühlen, sehen, wie faltig seine Haut geworden war, wie das Braun seiner Haare verblichen war – und witterte hinter allen Spuren, die die Zeit hinterlassen hatte, doch den alten Cornelius … den stets etwas melancholischen, aber zugleich feinfühligen, vertrauensvollen … ehrlichen … entschlossenen …
    Über Jahre hatte sie nur das Schlechte in ihm gesehen. Doch in diesem Augenblick war es plötzlich so leicht, sämtliche seiner guten Eigenschaften aufzuzählen.
    »Ganz gleich, wer von den beiden diesen Plan ausgeheckt hat«, fuhr er fort, »in jedem Fall steht fest, dass Manuel und Emilia sich lieben. Ach, Elisa, du hättest ihnen nicht verbieten sollen …«
    »Aber nicht ich bin es, die es ihnen verboten hat!«, fiel sie ihm verzweifelt ins Wort, noch ehe sie darüber nachdenken konnte.
    »Wer denn sonst?«, fragte er verwirrt.
    Sie senkte den Blick, um das alte Geheimnis hartnäckig zu bewahren, doch obwohl sie schwieg, konnte sie nicht verhindern, dass Tränen aus ihren Augen perlten und ihre Schultern verräterisch zuckten. Sie fühlte, wie er noch näher an sie herantrat, vorsichtig seine Hand auf ihre Schultern legte. Sie glaubte, jeden seiner feingliedrigen Finger einzeln zu spüren. Sie kämpfte darum, sich abrupt von ihm zu lösen und ihn zurückzuweisen, aber sie war nicht stark genug. Sämtliche Kräfte waren aufgebraucht. Nichts mehr war übrig, um ihn zu hassen, ihn zu verfluchen, sich ihm zu entziehen. Nichts war auch übrig, um sich selbst begreiflich zu machen, warum sie das in den letzten Jahren so beharrlich getan hatte.
    »Er ist doch dein Sohn!«, brach es aus ihr heraus. »Manuel ist dein Sohn, nicht der von Lukas! Verstehst du nun, warum die beiden nicht zusammen sein dürfen? Sie sind Geschwister! Wie hätte ich es denn zulassen sollen?«
    Ihre Schultern zuckten noch heftiger. Sie weinte, weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte, bis sie zu erschöpft war, um aufrecht zu stehen, bis sie ihren Kopf gegen seine Brust sinken ließ. Seine Hände, eben noch vorsichtig tastend, streichelten zitternd über ihr Haar, dann über ihren Rücken.
    »Mein Gott«, murmelte er. »Mein Gott!«
    Wie hatte sie leben können, fragte sie sich, wie hatte sie leben können, ohne von ihm umarmt zu werden …
    Ewig schien es zu währen, dass sie so dicht an ihn gepresst stand, seinen Geruch einatmete, seinen Herzschlag fühlte, doch als sie sich von ihm löste, war es viel zu kurz gewesen.
    »Die beiden sind Geschwister«, wiederholte sie stammelnd. »Die beiden …«
    Hatte auch er geweint? Seine Augen glänzten feucht, und seine Stimme klang gepresst, als er den Kopf schüttelte und sagte: »Nein, Elisa, nein, das sind sie nicht.«
    »Aber …«
    Er trat zurück; plötzlich musste sie frösteln, weil sein Körper den ihren nicht länger wärmte. »Emilia ist nicht meine Tochter.«
    »Aber …«
    Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Viktor.«
    Es war nur dieser eine Name, mit dem er die Wahrheit bekundete – doch dieses eine Wort genügte, um zu verstehen, dieses eine Wort und das Schweigen, das ihm folgte, erfüllt von viel zu spätem Begreifen, viel zu später

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