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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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»Hier gibt’s nichts zu glotzen! Und ihr«, sie wandte sich an die Töchter, obwohl diese sich ohnehin nicht rührten, »ihr bleibt in eurer Koje!«
    Jule beugte sich über Annelie und fühlte ihren Puls. »Wievielter Monat?«, fragte sie.
    »Der fünfte«, flüsterte Annelie. »Ich glaube, der fünfte …«
    Sie brach ab. Eine Woge des Schmerzes erfasste sie, ihr Körper krümmte sich; nicht länger stöhnte sie nur, sondern schrie auf, spitz und schrill. Nie hatte Elisa jemanden so schreien gehört – so voller Weh, Not, Angst. Sie wollte ihr die Hand reichen, wollte ihr zeigen, dass sie bei ihr war, doch plötzlich wankte der Boden. Sie stolperte zwei, drei Schritte, fiel gegen etwas Hartes, Eckiges.
    »Licht aus!«, schrie eine Stimme. Es war jener Matrose, der vorhin schon lauthals die Befehle des Kapitäns verkündet hatte.
    »Sind Sie verrückt geworden?«, rief Christine empört. »Wir brauchen Licht, um dieser armen Frau …«
    Er hörte gar nicht auf sie, sondern eilte von Lampe zu Lampe, um sie zu löschen. »Wenn eine von diesen umfällt, brennt es bald lichterloh!«
    Augenblicklich war es stockdunkel. Das Letzte, was Elisa sah, war, dass Jule sich über Annelies Leib beugte.
    Mühsam hatte sie sich aufgerappelt, rieb sich die schmerzenden Glieder. Jetzt erst bemerkte sie, dass Annelie nicht länger schrie. Vielleicht, weil sie in Ohnmacht gesunken war, vielleicht aber, weil der Sturm mittlerweile so stark war, dass er alles und jeden übertönte.

    Zumindest blieb es nicht stockdunkel. Elisa war sich nicht sicher, woran das lag: weil ihre Augen sich an die Finsternis gewöhnten, irgendjemand doch eine der Lampen entzündete oder der heftige Wind einen Balken wegriss. Jedenfalls erstanden aus der Schwärze Konturen, und kaum konnte sie wieder etwas erkennen, sah sie eine Kiste auf sich zurasen. Gerade noch rechtzeitig warf sie sich zur Seite. Mit einem lauten Knirschen schlug die Kiste gegen eine Koje, die heftig erzitterte.
    »Hört alle her!«, ertönte hinter ihr plötzlich eine laute Stimme. »Hört alle her!« Es war Fritz Steiner, der das Kommando übernahm. »Die Stricke, mit denen die Kisten und Koffer festgebunden sind, werden womöglich reißen. Jeder der Männer überprüft sein Gepäck und bindet es notfalls noch fester! Die Frauen bleiben mit den Kindern in der Koje und halten sie mit beiden Händen fest!«
    Zu Elisas Erstaunen fügten sich alle anderen; kein Widerspruch wurde laut – vielleicht, weil es ohnehin zwecklos war, gegen das Wüten des Sturms anzurufen. Selbst Lambert Mielhahn trat zu seinem Koffer, um die Stricke zu überprüfen. Emma hingegen hatte ihre Kinder wieder losgelassen und sich unter der Decke verkrochen. Die beiden Kleinen klammerten sich aneinander – Viktor mit kalkweißem Gesicht, Greta mit einem Grinsen. Zumindest schien Elisa das so, als ihr Blick kurz über sie schweifte; womöglich irrte sie sich aber auch. Unmöglich eigentlich, dass das Mädchen in dieser Stunde lachte.
    Rasch trat sie zu Jules Koje, um Annelies Hand zu ergreifen. Sie bemerkte, dass Jule mittlerweile ihre Röcke hochgeschoben hatte und sich zwischen ihren Beinen zu schaffen machte. Annelies gequälter Leib bäumte sich auf, und ihre Fingernägel gruben sich tief in Elisas Fleisch.
    »Gib ihr ein Stück Holz, damit sie sich nicht die Zunge abbeißt!«, wies Jule sie an.
    Noch ehe sich Elisa rühren konnte, war Christine zur Stelle, um das Gewünschte zu bringen. Annelie schüttelte jedoch den Kopf, als sie das Holz vor ihren Lippen hielt.
    »Richard …«, brachte sie mühsam hervor; Elisa konnte sie kaum verstehen. »Richard soll wissen, dass …«
    Sie kam nicht weiter, denn im nächsten Moment erklang abermals ein ohrenbetäubendes Krachen: Unwillkürlich ließ Elisa sie los, duckte sich und barg ihren Kopf zwischen den Händen. Als sie sich wieder aufrichtete, erkannte sie, dass die Pfosten einer der Kojen entzweigebrochen waren – zu morsch war das Holz, um das heftige Schlingern des Schiffs zu überstehen. Doch nicht nur, dass die Menschen, die in dieser Koje lagen, herausgefallen waren; die Wucht des Pfostens hatte vielmehr die Bretter brechen lassen, die – über die unteren Balken gelegt – das Zwischendeck vom Orlopdeck trennten. Ein Loch ragte nicht weit vor Elisa auf, und das verängstigte Schreien, das nun das Zwischendeck erfüllte, wurde von den Rufen von unten, wo die Ärmsten der Passagiere schliefen, verstärkt.
    Zwei weitere Frauen fielen aus dem Bett, weil

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