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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ihnen wie ein glattes, graues Tuch.

8. KAPITEL
    W ährend des Sturms hatte die Natur ihr grausamstes Gesicht gezeigt, nun enthüllte sie ihr schönstes und ehrfurchtgebietendstes.
    Schon als sie die Magellanstraße durchquerten, sahen sie die Küste – windumtoste Strände und weites Ödland, Hügel, die mit schwarzem Gestrüpp überwuchert waren, und Lagunen, in denen rosa Flamingos stakten, Muschelbänke und kleine Inseln voller Moos und Schlingpflanzen. Als sie die Strecke zwischen Feuerland und Patagonien hinter sich ließen und den Pazifischen Ozean erreichten, entfernten sie sich wieder etwas vom Land, doch die Küste blieb in Sichtweite, und das fremde Chile gewann ein Antlitz. Dieses galt es zu erforschen, vorsichtig und ängstlich, neugierig und gespannt, hoffnungsvoll und staunend. Weiß und grün – das waren die vorherrschenden Farben von Chiles Süden: Weiß war das Eis, das in kleinen Brocken auf der Wasseroberfläche trieb, von jenen Gletscherzungen stammend, die weit ins Meer hineinreichten. Bei Nebel schimmerte es kalt und blau, wie Edelsteine hingegen funkelte es, wenn Licht darauf fiel. Ebenso viele Schattierungen wies das Grün der Wälder auf: saftig und dunkel, wo Bäume hoch und dicht beisammenstanden, heller und sandig dort, wo Wiesen es hüfthoch durchbrachen. Nicht mehr ganz so schroff war die Küste, jedoch weiterhin bergig, und das Meer drängte sich oft nicht breiter als ein Fluss tief ins Land hinein. Meist hingen dichte Wolken über den Bergspitzen, doch wenn der Himmel sich aufklarte, so reckten sie sich stolz in die Höhe, nicht wenige von glitzerndem Schnee gekrönt.
    Schon als sie in die Nähe der Magellanstraße kamen, hatten Vögel das Schiff umkreist. Nun kamen sie in Schwärmen und wurden jedes Mal mit begeistertem Geschrei begrüßt – waren sie doch Zeichen, dass sie nicht länger den endlosen Weiten des Ozeans ausgeliefert waren.
    Die ersten Vögel glichen Raben und krächzten wie diese. Fritz Steiner behauptete, dass sie zur Gattung der Seeschwalben zählten. Zu ihnen gesellten sich bald Albatrosse mit ihren spitzen, kräftigen Schnäbeln und sehr langen, schmalen Flügeln – sie waren besonders ausdauernd, wie Fritz zu berichten wusste: Weite Strecken konnten sie überbrücken und zehrten Kraft aus den kurzen Pausen, wenn sie sich auf der Wasseroberfläche niederließen.
    Am faszinierendsten waren die Pelikane mit den großen Säcken unter ihren Schnäbeln. Poldi versuchte, dem Katherl einzureden, dass sie darin kleine Kinder entführten, doch anstatt vor Furcht zu vergehen – wie Poldi offenbar bezweckte –, schüttelte sich das Katherl vor Lachen.
    Alle verbrachten sie nun viel Zeit im Freien – nur Annelie blieb weiterhin meist in der Kajüte und Richard mit ihr. Elisa war nicht sicher, wer eigentlich Erholung brauchte. Annelie, bislang stets müde und blass, erwies sich nun als erstaunlich zäh. Die Trägheit und Übelkeit, die sie während der Schwangerschaft so quälend heimgesucht hatten, waren mit dem totgeborenen Kind gegangen. Erstmals schlief sie die Nächte durch und aß mit gutem Appetit – ganz anders als Richard, der verwirrt und geistesabwesend vor den vollen Tellern hockte. Er bekundete seinen Kummer nie, doch der Verlust des Kindes musste für ihn ein noch härterer Schlag als für Annelie gewesen sein. Seine Hoffnung auf einen Sohn währte schon so viel länger und hatte schon so viele Rückschläge erfahren müssen. Elisa brachte es jedoch nicht über sich, ihm zu sagen, wie leid es ihr täte. Ein unsichtbarer Bannkreis schien um ihn gezogen, der es nicht nur unmöglich machte, die rechten Worte zu finden, sondern auch, ihm ins Gesicht zu blicken. Die Ohrfeige hatte sie ihm verziehen, und er sprach kein schlechtes Wort mehr über Cornelius – dennoch fühlte sie sich in seiner Gegenwart beklommen und war jedes Mal erleichtert, wenn sie von ihm fliehen konnte.
    An den Anblick des Landes mit seinen Fjorden und Gletschern gewöhnten sie sich schließlich – umso faszinierender war ein Finnwal, der eines Tages neben dem Schiff auftauchte und es für einige Stunden begleitete. Sein wuchtiger Leib tauchte alle paar Augenblicke mit dem Rücken aus dem Wasser und schoss dann wieder unter die Oberfläche. Die Kinder deuteten lachend und kreischend auf ihn, bis ihre Aufmerksamkeit von etwas anderem angezogen wurde: kleinen Fischen, die regelrecht über dem Wasser zu fliegen schienen. Zwei Tage später, als der Finnwal die Gesellschaft längst

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