Im Land der Feuerblume: Roman
verabschiedete sich rasch von einigen Frauen und Kindern, deren Gesichter ihr während der Reise so vertraut geworden waren, obwohl sie nicht einmal die Namen kannte.
Als sie ins Freie traten, strömten die Menschen aus den umliegenden Häusern zusammen. Eine kleine Frau mit dunkelbraunem Gesicht trat mit breitem Lächeln auf Elisa zu und steckte etwas in ihre Hand, das sich später als Stück Bohnenpastete herausstellte. Sie dankte ihr mit einem Lächeln.
»Weiter, weiter!«, traf sie da eine unfreundliche Stimme. Sie fuhr herum, doch der Befehl galt nicht ihr. Lambert Mielhahn trieb seine Kinder an. Auf seinem Kopf glänzte ein rotes Geschwür. Viktor wirkte wie erstarrt, aber Greta zog ihn mit gleichmütigem Lächeln hinter sich her – genauso wie Annelie Richard hinter sich herzog. Obwohl Annelie blass und müde aussah, seufzte sie nicht halb so oft wie auf dem Schiff.
Sie ließen die Küste hinter sich, immer spärlicher gesät wurden die Häuser, immer schlammiger und schmaler die Wege. Das Meeresrauschen erstarb, lautlos schien das Land, das sie erwartete – und trübe. Bräunlich und nass waren die Wiesen, undurchdringlich und finster die Wälder. Wolken ballten sich über ihnen, und bald setzte Nieselregen ein, der die Hügel grau färbte.
Christl und Magdalena begannen zu klagen, auch Poldi fluchte, nur Katherl, die Fritz auf seinen Schultern trug, gab den ersten Ton von sich, seit es fast ertrunken war: Es gluckste, und irgendwie klang es wie ein Lachen.
»He!«, schrie Fritz nach vorne.
Er musste den ungeduldigen Ruf mehrmals wiederholen, ehe Konrad Weber auf ihn hörte. Er hatte die Gruppe angeführt und trat nun zu ihnen. Elisa zuckte zusammen, als sie das Gewehr sah, das er geschultert trug.
Ihm entging ihre angstvolle Miene nicht. »Man weiß ja nie, welches Pack am Wegesrand lauert«, meinte er kühl.
Fritz deutete auf die Kinder. »Sie können nicht so schnell gehen. Sie müssen Rücksicht auf sie nehmen!«
»Ach ja?« Konrad lachte auf, der Regen wurde stärker. »Muss ich das? Hör mir gut zu, Bürschchen«, er trat dicht an Fritz heran. »Ich bin hier derjenige, der das Tempo vorgibt.«
Fritz hielt seinem Blick stand und wich kein Jota zurück: »Und wenn wir nicht mithalten?«
Wieder lachte Konrad. »Seht ihr hier irgendjemanden, der euch helfen kann außer mir? Entweder ihr passt euch mir an, oder ihr seid in diesem Land verloren.«
Sprach’s und stapfte wieder nach vorne.
Elisa fröstelte. Ihre Kleidung war schon völlig durchnässt, obwohl sie gerade erst aufgebrochen waren. Sie wusste nicht, was schlimmer zu ertragen war: der unerträgliche Kummer, weil sie so überstürzt von Cornelius hatte Abschied nehmen müssen, oder die nagende Furcht, die Konrads hämische Worte in ihr gesät hatten – Furcht, dass sie keinem neuen schönen, aufregenden Leben entgegengingen, sondern dem Verderben.
ZWEITES BUCH
Der verwunschene See
1853 – 1856
11. KAPITEL
N ahezu winzig war der Vogel, die Spanne zwischen seinem gefiederten Schwanz und dem spitzen Schnabel kaum größer als die einer zarten Kinderhand. Er schien sich im dunklen Dickicht verirrt zu haben und flatterte eine Weile aufgeregt zirpend im Kreis, ehe er seinen Schnabel in einer der langgezogenen Glockenblüten versenkte. Der Boden knackte unter ihren Füßen, als Elisa näher trat, um ihn genauer zu mustern. Seit den frühen Morgenstunden schuftete sie im Wald, doch es war das erste Mal, dass sie aufblickte, den schmerzenden Rücken streckte und ihr Gesicht in jene fadendünnen Sonnenstrahlen hielt, die nur selten durch die massigen Baumkronen bis zum Boden fielen.
Wie schön, dachte sie, als der Vogel zur nächsten Blüte flatterte, wie ungemein schön er ist.
Sein Gefieder schimmerte metallisch grün, die Kehle war bunt und nicht minder glänzend. Seine kleinen, dunklen Augen schienen Elisa aufmerksam zu beobachten.
Achtlos macht uns die Plackerei, ging es Elisa durch den Kopf, wir kämpfen uns durch den Wald, als wäre er Feindesgebiet, und vergessen, wie schön er ist, wie schön er sein kann.
Von diesem Vogel würde sie Cornelius schreiben – wenn auch nur in ihren Gedanken. Dann stellte sie sich vor, wie sie einen Bogen Papier nahm, den es hier nirgends gab, die Feder ansetzte, die man ihr vorenthielt, und von dem Leben berichtete, das viel zu oft nur aus Arbeit bestand und viel zu selten aus solch zauberhaften Momenten. Manchmal stellte sie sich gar nicht erst vor, ihm zu schreiben. Stattdessen schloss
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