Im Land der Feuerblume: Roman
Fleisch. Er ließ ihn nicht im Wald arbeiten, sondern wies ihm lediglich kleine Reparaturarbeiten zu.
Nach Lamberts eigenen Worten lag es daran, dass Konrad ein begeisterter Jäger war und er selbst viel von der Jagd verstand: Er begleitete ihn durch das grüne Dickicht, schulterte das geschossene Tier und reinigte fachmännisch Konrads Jagdgewehre.
Doch das, was manchmal fast nach einer Freundschaft aussah, lag in Elisas Augen nicht nur an geteilter Jagdleidenschaft, sondern an ihrer Ähnlichkeit. Beide hatten ihre Frauen verloren – und zeigten keinerlei Trauer darüber, weil sie diese schon zu Lebzeiten verachtet hatten. Und beide führten ihre Kinder mit strenger Hand. Seit Emmas Tod waren Viktor und Greta noch verschreckter und wiesen noch häufiger blaue Flecke auf. Moritz und Gotthard, die beiden Söhne Konrads, waren im gleichen Alter von Fritz und Lukas, allerdings weniger schüchtern. Sie gaben mit demselben dreisten Grinsen wie ihr Vater Befehle und spielten sich hinter seinem Rücken als Herren auf. Doch vor ihm selbst standen sie stramm wie Soldaten.
»Wollen wir dem verfluchten Puma also das Fell über die Ohren ziehen!«
Wieder lachte Konrad, dann stapften er und Lambert davon. Die kniehohen Farne raschelten unter ihren energischen Schritten. Sie waren jedoch nicht laut genug, um Poldi zu übertönen – Poldi, der ihnen missmutig hinterherstarrte und plötzlich ausstieß: »Nutzlos durch die Gegend schießen und uns schuften lassen!«
Fritz legte mahnend den Finger auf die Lippen, doch es war zu spät. Konrad fuhr herum, musterte Mann für Mann, als gelte es, erst herauszufinden, wer die Worte gesagt hatte. In Wahrheit, so war sich Elisa sicher, wusste er längst, dass beim Jüngsten die größte Bereitschaft zum Aufruhr zu wittern war. Prompt reckte Poldi stolz das Kinn.
»Hast du etwas gesagt?«, fragte Konrad gedehnt.
Rasch trat Elisa vor Poldi, noch ehe seine Brüder eingreifen konnten. »Nichts«, sagte sie schnell, »er hat gar nichts gesagt.«
Konrad machte keine Anstalten, sich wieder umzudrehen. »Ich will es von dem Jungen selbst hören.«
Zögernd trat Elisa zur Seite, nicht ohne Poldi einen knappen Stoß zu versetzen. Sie suchte seinen störrischen Blick und legte alle Willenskraft darein, ihm auch ohne Worte klarzumachen, dass er sich fügen musste.
Zu ihrer aller Erleichterung gab er nach.
»Nichts«, sagte er, zwar mürrisch, aber deutlich hörbar. »Nichts habe ich gesagt.«
Ein schiefes Grinsen verzog Konrads aufgedunsenes Gesicht. »Dann hat ja alles seine Richtigkeit.«
Forsch schritten die beiden Jäger in den Wald, und diesmal hielt sie nichts zurück, bis das Knacken von brechenden Zweigen verstummte und ihre Umrisse im grünen Dickicht verschwunden waren.
Seit den Tagen, die sie an der Küste verbracht hatten, hatten sie von Chile nichts anderes gesehen als Wald. Manchmal dachte Elisa nach stundenlanger Arbeit, dass das ganze Land nur aus diesen Bäumen bestünde, aus den immergrünen Blättern von Lorbeer und Magnolien, aus den knorrigen Wurzeln, über die man so leicht stolpern konnte, aus den vielen Lianen, die sich wie Menschenhände anfühlten, geriet man erst in ihre würgenden Fänge. Farne, Pilze und Kräuter quollen förmlich aus den Baumrinden; harte Bambusgräser schlugen schmerzhaft auf die Beine, wenn man entschlossen hindurchstapfte; weiche Moospolster überzogen feucht und erstickend den Boden, dämpften jeden Schritt und nässten jedes Paar trockener Socken.
Durchdringend, manchmal harzig, manchmal süßlich war der Geruch. Elisa liebte ihn, atmete ihn oft geradezu gierig ein, dennoch konnte er nicht darüber hinwegtrösten, dass der Boden sich immer rutschig anfühlte und die Kleidung immer klamm. Von der Hüfte abwärts versanken sie oft im dichtesten Nebel, und selbst wenn magere Sonnenstrahlen durch die Kronen der Araukarien, die Annelie einmal mit einem Regenschirm verglichen hatte, fielen, ließen diese so viel Dampf vom Boden aufsteigen, als würde er gesotten.
Wann immer sie sich über die Stirn wischte, war sie nicht nur nass vom Schweiß, sondern von kleinen Wassertröpfchen, die sich auf Blättern und Ästen, Gräsern und Halmen sammelten und auf sie hinabklatschten.
Wenigstens – dies gehörte zum wenigen Guten –, wenigstens war es nicht kalt. Zwar war der Himmel nur selten wolkenlos, doch ebenso selten wehten die stürmischen Westwinde. Und selbst diese fraßen sich nicht eisig in die Knochen, sondern blieben mild.
Als
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