Im Land der Feuerblume: Roman
Konrad sie damals von Corral weggeführt hatte, war der Wald zunächst noch lichter gewesen. Einige Viehhirtenwohnungen hatten sie passiert und ausgetretene Pfade benutzt, die durch Täler und Sümpfe führten. Doch irgendwann waren nur mehr Bäume vor ihnen aufgeragt. Kein normales Fortkommen erlaubte der Urwald hier; Meter für Meter seines Weges musste man ihm abringen, und jeder Fehltritt konnte dazu führen, dass man im Morast versank. Erst jetzt verstanden sie, warum Konrad unbedingt eine Straße bauen wollte.
Nachdem sie endlich angekommen waren, durften sie nur kurz auf seiner Hazienda bleiben. Bald schon führte er sie von diesem kleinen Flecken gerodetem und nunmehr fruchtbarem Land fort und noch tiefer in den Urwald hinein. Zunächst mussten sie sich dort selbst ihre Baracken errichten, um dann damit zu beginnen, eine Schneise zu schlagen, die die Hazienda mit Valdivia verbinden und es Konrad leichter machen würde, mit seinen Gütern zu handeln. Irgendwann, so meinte er auch, könne man auf dieser Strecke zudem eine Eisenbahnlinie bauen.
Am Anfang, als sich Konrad noch dazu herabgelassen hatte, ihnen leere Versprechungen zu machen, hatte er behauptet, die Straße würde nicht nur ihm dienen, sondern auch ihnen, falls sie endlich eigenes Land bekämen.
»Und wie soll das geschehen, wenn wir hier abgeschnitten von aller Welt leben?«, hatte Fritz gerufen.
Konrad hatte gegrinst, ausgespuckt und leichtfertig gerufen: »Ihr könnt gerne gehen! So ihr denn wieder aus dem Urwald herausfindet!«
Seine Worte hatten Entsetzen ausgelöst, Empörung, aber auch Hoffnungslosigkeit.
»Ein Sklaventreiber ist das! Ein übler Sklaventreiber!«, hatte Jule gesagt.
»Er sperrt uns nicht ein«, hatte Fritz eingeworfen.
»Er nicht. Aber der Urwald«, meinte sein Vater knapp.
Und der Urwald, das dachte Elisa seitdem oft, war ein vorzüglicher Kerkermeister. Dieses dampfende Dickicht war das verschlungenste Labyrinth der Welt, und selbst wenn sie einen Weg heraus finden würden, was wäre dahinter anderes zu erwarten als ähnliche Wildnis? Vielleicht keine weiteren Bäume mehr, vielleicht satte, fruchtbare Wiesen – für sie freilich nutzlos, denn wie sollten sie sie urbar machen ohne Pflüge, ohne Ochsen, ohne Saat? Von Konrad hatten sie Äxte und Sägen bekommen, doch das genügte nicht, um unbeackertem Boden eine ausreichende Ernte abzupressen.
Poldis Fluchen riss sie aus den Gedanken. »Eine Mordswut habe ich auf ihn!«, rief er, und ausnahmsweise war es nicht gegen Konrad Weber gerichtet. »Lambert ist mit uns hergekommen. Warum rennt er jetzt mit dem Konrad Weber auf die Jagd, anstatt mit uns zu arbeiten?«
»Er hat sich eben aufs Buckeln verlegt«, gab Fritz knapp zurück. »Während du es ja nicht lassen kannst, Konrad herauszufordern.«
»Na und? Du etwa nicht?«
Fritz zuckte nur mit den Schultern.
»Dass sich Lambert nicht um uns schert, nun, das verstehe ich ja«, fuhr Poldi fort. »Aber auch für seine Kinder tut er nichts. Die lässt er hungern …«
Fritz hob entschieden die Hand.
»Nicht reden, sondern arbeiten!«, befahl er knapp. Dann winkte er Lukas zu sich. »Du kommst mit, der Baum dort hinten ist reif. Und ihr …«, er deutete auf Elisa, Poldi und seinen Vater, »ihr schlagt den anderen klein!«
Ein »reifer« Baum war einer, den man endgültig fällen konnte. Sie hatten viel Lehrgeld zahlen müssen, ehe sie mit den riesigen Araukarien zurechtkamen. Manche von ihnen waren so hoch, dass man vom Boden aus ihre Spitze nicht sehen konnte, und viele so dick, dass es ein Dutzend Menschen gebraucht hätte, sie zu umfassen. Am lästigsten waren die dachziegelartig angeordneten Zapfen mit ihren stechenden Nadeln, die sich in schmerzhafte Wurfgeschosse verwandelten, wenn sie von den Kronen fielen.
Früh hatte sich gezeigt, dass sie mit Sägen und Hacken allein nicht gegen die Ungetüme ankamen. Vielmehr mussten sie sich die Kraft, die in den Bäumen steckte, zunutze machen, indem sie den Stamm ansägten und dort Blöcke einschlugen und ihn so lange stehen ließen, bis ein Ächzen erklang und Wind und Schwergewicht die Krone zu einer Seite zogen. Oft mussten sie tagelang auf diesen Moment waren, ehe durch neuerliches Einschlagen von Blöcken der Baum gefällt werden konnte.
Meistens nahmen Lukas und Fritz diesen schwersten Teil der Arbeit auf sich und stapften nun durch die Bruchmoore davon, während die anderen bereits gefällte Araukarien von Ästen und Rinde befreiten und in kleine Stücke
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