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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ein so tief verwurzeltes, uraltes Wesen einfach töteten. Ja, wie Menschen erschienen ihr die Bäume, mit größerem und längerem Recht ausgestattet, hier zu leben, als sie selbst, die Eindringlinge.
    Unter der Wucht des Aufpralls zuckten sie zusammen, starrten sich an, Poldi erbleichte noch mehr. Hatten sie einen Schrei gehört, als die Araukarie fiel? Oder war es nur eine Sinnestäuschung, weil sie insgeheim dergleichen befürchteten?
    »Vater!«, brüllte Poldi in das Dickicht.
    Nach dem Ächzen und dem durchdringenden Knall blieb der Urwald nun wieder totenstill. Keine Schritte waren zu hören, kein Rufen, keine weiteren Schüsse.
    »Lukas! Fritz! Seid ihr denn wahnsinnig, dass …«
    Poldi hielt inne, als die beiden Brüder kamen, herbeigelockt von seinem aufgebrachten Schrei.
    Elisa stürzte ihnen entgegen. »Euer Vater hat doch gesagt, dass ihr mit der Arbeit innehalten sollt!«
    Langsam dämmerte Begreifen in Fritz’ und Lukas’ Gesichtern, als sie vergebens nach dem Vater Ausschau hielten. »Wir haben nichts gehört, er hätte lauter rufen müssen«, verteidigte sich Letzterer, während Fritz’ Lippen schmal wurden.
    Wortlos stürzte er in den Wald, und die anderen folgten ihm. Nebelgeschwader empfing sie, wo die Bäume noch dichter standen. Äste, Blätter und Farne schlugen gegen Elisas Gesicht. Sie blieb an irgendetwas hängen, stolperte und fiel. Der Boden war weich und nass, und als sie hochblickte, hatte sie kurz kein Gefühl mehr dafür, wo oben und unten war, rechts oder links. Die ganze Welt verkam zu dampfendem Unterholz.
    »Vater!«, hörte sie Poldi schreien.
    Sie rappelte sich auf, ihre Kleidung troff stärker als sonst.
    Nun hatten sie die Stelle erreicht, wo die gefällte Araukarie aufgeprallt war. Konrads blindwütigem Schießen war Jakob Steiner entkommen, aber einer der abstehenden Äste hatte ihn getroffen. Unter einem Wirrwarr von Zapfen und Nadeln lag er begraben, die Augen in Höhlen versunken, die Glieder so reglos, als gehörten sie zum gefällten Baum und nicht länger zu einem lebendigen Menschen.

12. KAPITEL
    A nnelie hob den länglichen Zapfen prüfend hoch. Sie hatte ihn vorsichtig aufgeschnitten und versuchte nun, die braunen Samen zu ertasten, die sich hinter der Rinde versteckten. Zwei Arten von Zapfen gab es: braun und walzenförmig die einen, rund und gelbgrün die anderen. Fritz behauptete, dass Erstere männlich und Letztere weiblich wären. Poldi hatte darüber gelacht und bezweifelt, dass es auch bei den Zapfen von Bäumen zwei Geschlechter gäbe. Doch Annelie glaubte Fritz. Schließlich hatte dieser einst, als die Steiners noch in Württemberg lebten, jeden Sonntag die exotischen Pflanzen in den Glashäusern des Zoos inspiziert.
    Dass man die Samen der Araukarien essen konnte, wusste Annelie allerdings nicht von ihm, sondern von Antiman.
    Es hieß, dass Antiman von Chiloé, der grünen Insel vor der Küste Mittelchiles, stammte und jenem Volk angehörte, das lange vor den Spaniern das Land besiedelte. Er war klein, schweigsam und arbeitete viel; die Narbe eines Peitschenhiebs verlief quer über sein Gesicht, das so braun und so furchig wie die Rinde eines alten Baums war. Er hatte beobachtet, wie sie sich stets aufs Neue darum bemühte, aus den bescheidenen Zutaten – Mais, Kartoffeln und Kürbis – ein köstliches Mahl zu zaubern. Es gelang ihr nie, denn es fehlten die schmackhaften Gewürze und das saftige Fleisch. Und so war er gestern an sie herangetreten und hatte angedeutet, dass man in diesem Land viel mehr essen konnte, als eine Fremde auf dem ersten Blick erkannte. Er hatte ihr gezeigt, wie man die Zapfen der Araukarien aufschnitt und die Samen gewann.
    Annelie drehte sich nach Jule um, die Kleider flickte – die eigenen und die der von Grabergs. Früher hatte sie sich noch darum bemüht, die Nähte möglichst schön und gleichmäßig zu machen; nun ging es einzig darum, den rissig und brüchig gewordenen Stoff irgendwie zusammenzuhalten.
    »Die Zapfen zerfallen nach drei Jahren«, hatte Antiman erklärt. Und dann quellen die braunen Samen hervor. Man kann sie mahlen, genauso wie Mehl.
    Sie sammelte einige dieser braunen, länglichen Körner in ihrer Handfläche, hob sie zur Nase und roch daran. Anders als die Araukarien, deren dunkles Holz würzig und harzig nach Wald schmeckte, waren die Samen geruchlos, aber das war Mehl schließlich auch. Annelie ließ die Samen zurück auf die hölzerne Platte rollen, die zwischen dem Herd und einer Kiste

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