Im Land der Feuerblume: Roman
gespannt war – eine Arbeitsfläche ersetzend, die sie hier genauso wenig hatten wie anständige Möbel. Sie schliefen auf Strohsäcken anstelle ordentlicher Matratzen oder gar Betten, und auf einer hockte nun in Ermangelung eines Stuhls auch Jule und nähte.
»Pah!«, rief diese. »Was nützen mir deine Samen! Ich hätte gerne einmal Lamm, kross gebraten und mit frischem Thymian bestreut. Stattdessen gibt es immer nur Kartoffeln, die entweder grün und hart sind oder schon getrieben haben. Nur dem verfluchten Lambert, dem gibt der Konrad Fleisch! Eine ganze Rinderhaxe letzte Woche!«
Der verführerische Duft war in alle Nasen gezogen, als er sie mit Mehl eingerieben und über dem offenen Feuer gebraten hatte. Niemandem hatte er etwas abgegeben, selbst die eigenen Kinder hatte er knapp gehalten. Lediglich zu Konrads Söhnen war er großzügig gewesen, obwohl die an der Tafel des Vaters ohnehin reichlich bekamen. Dennoch hatten sie gierig gegessen, nein, geschlungen, bis ihre Finger und ihre Wangen fettig glänzten.
Annelie seufzte. Auch sie sehnte sich insgeheim nach frischem Fleisch. Dennoch füllte sie die Samen in eine kleine hölzerne Schüssel und begann, sie mit einem Mörser zu zerstampfen. Sie platzten auf und gaben ein bräunliches Pulver frei. In Chile, das hatte sie gelernt, hieß es: aus wenig viel machen und aus nichts alles.
»Antiman hat mir erzählt, wie sie auf der Insel Chiloé Lamm zubereiten. Sie kochen das Blut und würzen es mit Zwiebel und Koriander. ›Nachi‹ heißt das.«
»Und wie hat er dir das erzählt, wenn er doch kein Wort sprechen kann oder will?«, fragte Jule trocken.
»Nicht mit Worten, sondern mit Zeichen.« Es hatte Annelie selbst erstaunt, wie viel sich Menschen sagen konnten, obwohl ihre Sprachen sie trennten.
»Darauf verstehst du dich ja«, knurrte Jule. »Noch aus Schweigen etwas herauszulesen.«
Mit einem knappen Kopfnicken deutete sie in Richards Richtung, der stumm in der Ecke saß. Er räusperte sich nicht, seufzte nicht, sondern starrte stundenlang auf das Fleckchen erdigen Boden, wo seine Füße ruhten. Im Fieberwahn hatte er manchmal noch geschrien, doch seit es gesunken und er nicht daran gestorben war, wie Jule prophezeit hatte, war es schwer, ein Wort aus ihm herauszubekommen. Man musste sich neben ihn setzen, ihn regelrecht anstoßen und so lange den Blick seiner blauen Augen suchen, bis dahinter etwas Verständnis aufglomm – und dann, dann sagte er vielleicht ein Wort. Doch nie galt dieses ihrem entbehrungsreichen Leben hier; Erinnerungen an Deutschland beschwor er vielmehr herauf, an sein Gut, an seinen einstigen Reichtum, an die Mahlzeiten, die er damals genossen hatte.
Annelie ging über Jules Stichelei hinweg. Sie ließ den Mörser sinken und hob ein handgroßes Blatt hoch, dessen Ränder spitz und stachelig waren. »Das sind die Blätter der Nalca-Pflanze. Antiman meint, man könnte auch diese essen; ich habe es probiert, und denk dir, es schmeckt ein bisschen so wie unser Rhabarber. Wenn ich’s nur lang genug probiere, so lässt sich aus dem Mehl der Araukariensamen und aus der Nalca-Pflanze so etwas Ähnliches wie Rhabarberkuchen backen.«
Jule rümpfte die Nase. »Dann fehlen dir immer noch die Eier.«
Das war in der Tat ein Problem. Als sie hier angekommen waren, war ein zerrupfter Hahn über den Hof gestakst. Mit seinem elenden Krächzen, das alles andere war als ein stolzes Kikeriki, hatte er sie oft noch zu Nachtzeiten geweckt. Irgendwann war er verschwunden – wahrscheinlich im Kochtopf von Konrad oder Lambert, und anders als die Rinderhaxe missgönnte ihm niemand diesen zähen Hahn. Hühner gab es zwar auch, aber diese hielt Konrad in enge Käfige gesperrt, so dass es ihnen unmöglich war, ein Ei zu ergattern.
»Ich muss mit Fritz reden«, überlegte Annelie. »Fritz kennt sich aus mit den Tieren. Es gibt so viele Vögel hier, vielleicht auch so etwas wie Wildenten. Die legen doch auch Eier, oder nicht? Man müsste sie ihnen nur abluchsen.« Sie warf einen scheuen Blick auf ihren stummen Mann. »Richard hat Rhabarberkuchen immer so geliebt. Er würde … er würde seine Lebensgeister wecken.«
»Das würde ein Tritt in den Allerwertesten auch.«
Anders als die übrigen Worte hatte sie diese kaum hörbar vor sich hin gemurmelt, doch Annelie waren sie nicht entgangen.
»Sei nicht so böse zu ihm!«, rief sie seufzend. »Er kann doch nichts dafür, dass es ihm nicht so gut geht.«
Jule ließ die Nadel sinken. »Ich verstehe
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