Im Land der Feuerblume: Roman
nur eines nicht: Warum dreht sich euer ganzes Leben immer nur um ihn? Du willst ihm aus dem Nichts einen Rhabarberkuchen backen, und Elisa schuftet sich an seiner statt zu Tode.«
»Sie erträgt es tapfer. Sie ist ein starkes Mädchen. Und sie wusste immer, dass wir hier hart arbeiten würden müssen.«
Ja, dachte Annelie, das hatten sie gewusst – jedoch nicht, dass es für einen Mann wie Konrad sein würde, dass der erhoffte eigene Grund und Boden ausblieb, dass sie sämtliche Geräte und sämtliche Samen auf der Reise verlieren würden.
Doch das war es nicht, was Jule in diesem Augenblick am meisten erboste. »Ich finde es nicht schlimm, wenn Frauen hart arbeiten. Nur wenn sie sich obendrein die Arbeit machen, den Männern vorzugaukeln, dass diese die wahren Helden seien. Wenn Elisa an Richards Stelle Bäume fällt – dann ist das gut und richtig. Doch warum setzt ihr alles daran, obendrein noch seinen Stolz zu wahren? Warum umhätschelt ihr ihn, anstatt ihm ins Gesicht zu sagen, dass ihr an Lasten genug zu tragen habt und er nur eine weitere ist? Stundenlang redet ihr auf ihn ein, um ihm ein Wort zu entlocken! Eine ebenso sinnlose wie dumme Liebesmüh, sag ich dir. Soll er doch sein Maul halten, wenn er’s nicht aufkriegt!«
Annelie senkte den Blick. Einer Frau wie Jule, die ihren Mann und ihre beiden Töchter einfach im Stich gelassen hatte, konnte sie es nicht erklären: dass sie Richard das schuldig war. Dass er sie schließlich geheiratet und aus dem Elend ihrer Kindheit geführt hatte.
Sie wollte lieber nicht daran denken, dass sie jenes Elend womöglich gegen ein noch viel größeres eingetauscht hatte.
»Ich bin seine Frau, und ich stehe zu ihm. Komme, was will«, murmelte sie.
»Zu nichts taugt er«, zischte Jule. »Aber die Kraft, dir ein Kind zu machen, die hat er noch, nicht wahr?«
Annelie duckte sich tiefer.
Jule wusste als Einzige von ihrer Fehlgeburt, die sie kurz vor Richards Fieber erlitten hatte. Selbst vor Elisa hatte sie es verschwiegen – dass sie nach der Totgeburt auf dem Schiff wieder schwanger geworden war, dass ihr Leib das Kind aber nicht einmal zwei Monate hatte halten können und sie eines Nachts mit Krämpfen aufgewacht war. Unter Schmerzen war sie leise zu Jule gekrochen, und diese hatte ihr zur Seite gestanden, als sie einen blutigen Klumpen ausschied. Sie war es auch, die ihn irgendwo im Dickicht vergraben hatte.
Ein Kind habe ich dem Meer gegeben, das andere nun dem Wald, hatte Annelie gedacht und das Gefühl gehabt, sämtliche Hoffnung zu begraben, nicht nur auf den von Richard so sehr ersehnten Sohn, sondern darauf, dass in diesem fernen Land alles gut werden würde.
Annelie warf einen flüchtigen Seitenblick auf Richard. Immer noch rührte sich nichts in seiner Miene. Fadendünn troff Speichel aus seinen Mundwinkeln.
Obwohl sie Tag für Tag darum betete, es möge ihm wieder besser gehen, er in diesem Land und in diesem Leben endlich ankommen, hegte sie tief in ihrem Inneren noch einen anderen, einen verräterischen Gedanken: So musste sie nicht Richard beiliegen und konnte darum nicht noch einmal schwanger werden. Bei all dem Ungemach war das eine Erleichterung, die sie sich selbst kaum einzustehen wagte, schon gar nicht vor Jule.
»Ich hätte gerne ein Kind … irgendwann«, meinte sie zaghaft.
»Auch dann noch, wenn’s dir den Tod bringt?«, fragte Jule ungehalten. »Ich habe es dir doch schon gesagt: Es gibt Mittel und Wege, eine Schwangerschaft zu verhindern. Will sagen, ich wüsste Mittel und Wege …«
Annelie hob abwehrend die Hand. Nach der zweiten Fehlgeburt hatte Jule ihr ein gar sonderliches Ding gezeigt, das aus einer Mischung von gepresstem Papier, Zinn, Elfenbein und Kautschuk bestand und das man über den Muttermund stülpen konnte, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Annelie war so verstört davon gewesen, dass sie nicht hatte fragen können, woher sie dergleichen hatte. Erst viel später hatte Jule zugegeben, dass sie es ihrem Onkel, dem Arzt, entwendet hatte, um nach den zwei Töchtern nicht noch ein drittes Kind zu bekommen. Annelie hatte sich zutiefst unbehaglich gefühlt – allein der Anblick dieses sonderlichen Dings bereitete ihr Schmerzen, und noch unerhörter als die Vorstellung, es in ihre Scham einzuführen, erschien ihr die Möglichkeit, freiwillig eine Schwangerschaft verhindern zu wollen.
»Ich möchte das nicht!«, schrie sie auch jetzt schrill.
Jule hob zu einer Antwort an, doch in diesem Augenblick klopfte es an
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