Im Land der Freien
mutet dem Neuankömmling so traumatische Sätze zu wie: »Alles ist göttlich an dir, du weißt es nur noch nicht.«
Hier backen sie bescheidener. »Nichts Heiliges, offene Weite«, las ich einmal über einem Zen-Kloster in Japan. Hier könnte das auch passen. Das 160 Seiten dicke Lehrprogramm bietet neben Religionswissenschaften, Sanskrit und engagiertem Buddhismus so weltliche Studien wie Gartenarchitektur, Anthropologie, Psychologie, Ökologie, Tanz, Theater, Musik, Gerontologie und Kreatives Schreiben an. Bemerkenswert auch der ausdrückliche Hinweis, dass neben intuitivem Verstehen auch intellektueller Scharfsinn gefördert wird. Wie erfreulich, man darf sein Hirn behalten, muss es nicht hergeben beim Unterschreiben seiner Immatrikulation. Als Namensgeber der Universität fungiert Meister Naropa, der vor neunhundert Jahren in Indien lehrte.
Insgesamt nehmen knapp zweitausend Studenten an den Kursen und Workshops teil, 750 davon fulltime . Aber weise und stark werden ist teuer. Ein Semester kostet fast 20 000 Dollar, hinzu kommen die Lebenskosten. Siebzig Prozent aller Teilnehmer erhalten ein Stipendium. Ungefähr fünfzig ausländische Studenten sind eingeschrieben, die meisten davon stellen die »erkenntnishungrigen« – so höre ich es – Deutschen. Zu den Leistungen der Schule gehört auch ein Bus-Pass, das Vergessen des eigenen Autos wird ausdrücklich empfohlen.
Dass Gründer Trungpa 1987 an Trunksucht und Krebs verstarb, wird nicht verheimlicht. Er war ein genialer Lehrer, ein Arbeitstier, furchterregend intelligent und belesen, großzügig bis zum Ruin, nie unempfindlich für die Gaben des Westens. Naropa versteht sich folglich nicht als Brutstätte geifernder Fundamentalisten, sondern als Hilfsmittel zur Freilegung von Begabungen und Fähigkeiten.
Der Campus ist klein und übersichtlich. Ein luftiges memorial aus buntem Papier für Allen Ginsberg hängt in den Bäumen, sogar ein japanisches Teehaus gibt es, um sich die geduldigen Gesten der Teezeremonie anzueignen. Viele Unterrichtsräume, ein märchenstiller Meditationsraum und ein modernst hochgerüstetes Computerlabor mit E-Mail- und Internet-Anschluss stehen zur Verfügung. Die Tänzer gehen in ihr Performing Arts Center , die Musiker in ihre Aufnahmestudios im Music Building und die Sprachverliebten in ihre Werkstatt mit den handbetriebenen Druckmaschinen, um so auf sinnliche Weise das Wunder Papier zu begreifen.
Ich gehe in die 27 000 Bücher starke Allen-Ginsberg-Bibliothek, den Sitz des Department of Writing and Poetics , den Ort, wo der Schriftsteller gemeinsam mit Anne Waldman The Jack Kerouac School of Disembodied Poets eröffnete. Rechts am Eingang steht ein Vierzeiler von William Blake: » He who binds himself on joy / Does the winged life destroy / But he who kisses the joy as it flies / Lives in eternity’s sunrise .« Das klingt wie ein Motto, das die Arbeit des Naropa Instituts und das Werk Ginsbergs durchzieht. Nicht festhalten, nicht dableiben wollen, dafür genau im jetzigen Augenblick leben.
Zwischenblende: Im November 1993 kam der Dichter für eine Lesung nach Paris. Das Publikum – der Saal im Palais de Chaillot war bis auf die Stehplätze ausverkauft – johlte vor Vergnügen. Ginsberg las nicht, der Siebenundsechzigjährige entpuppte sich als Poesie-Schreier, er jauchzte, er trommelte, er tanzte sie. Und er berichtete von einem Vorfall aus Boulder, der sich vor Jahren ereignet hatte, als er gerade am Naropa Institute unterrichtete. Es ging ihm damals hundsgemein schlecht, sein Vater war gerade gestorben. Und Chögyam Trungpa überließ ihm als Trost nur zwei kurze Sätze: » Let go .« Und: » Enjoy .« Diesen paar Wörtern, so Ginsberg, wolle er vor seinem Tod noch auf die Schliche kommen: lassen, zulassen. Und der Pflicht, glücklich zu sein.
Kaum war die Geschichte zu Ende erzählt, schlug er den gerade so gerührten Zuschauern vor, das Hohe Lied auf sein Arschloch vorzutragen. Auf dass es noch lange lebe und ihm und seinen Liebhabern noch lange Freude und Vergnügen bereite. Und er sprach es, sang es, schleuderte es voll teuflischer Lust auf uns hinunter: » O my dear asshole / may you stay / may you stay / may you stay / another long / another long time alive …«
Neben dem Gedicht von William Blake hängt ein Popgemälde mit dem Kopf von Jack Kerouac, wild darüber gepinselt steht: » Here is your cross of tenderness .« An einer anderen Wand sieht man ein Foto von King Elvis, in einem Filmskript
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