Im Land der gefiederten Schlange
Familie begrüßen würde.«
Es tat unglaublich weh. Schlimmer, als wenn der Mann ihn beleidigt oder sogar geschlagen hätte. »Unter anderen Umständen«, fragte er schneidend, »oder in anders gefärbter Haut?«
»Unter anderen Umständen«, erwiderte Stefan Hartmann. »Ich hatte Angst um Kathi, aber ich habe sie trotzdem nicht abgehalten. Jetzt jedoch habe ich etwas erfahren, das mich zu unser aller Schutz zu diesem Vorgehen zwingt.«
»Und was soll das sein?«
Der andere schüttelte den Kopf. »Davon muss ich schweigen. Glauben Sie mir bitte, dass unsere Familien das Unglück nicht aushalten könnten.«
Er wollte sich vor dem Mann nicht erniedrigen, indem er um das, was er nicht haben konnte, bettelte. Dafür, dass er es dennoch tat, hasste er sich. »Und die Umstände können sich nicht ändern, richtig? Ein Kerl könnte als Stallknecht aufbrechen und als Doktor der Rechte wiederkommen – um die Tochter dürfte er sich trotzdem nicht bewerben, weil er noch immer ein stinkender Indio ist?«
Jäh spürte er Hartmanns Hand auf seiner Schulter. Statt sie abzuschütteln, erstarrte er. »Sie dürften sich um meine Tochter bewerben, Señor Alvarez. Leider habe ich keine. Und das andere wissen Sie selbst. Ich appelliere an Ihren Anstand, weil ich glaube, dass Sie Kathi lieben. Und weil Sie um nichts auf der Welt wünschen, dass ihr Leid geschieht.«
19
Mit jedem Tag, der verstrich, wuchs Katharinas Zorn. Schmerz und Zorn waren in eines verschmolzen und tobten wie Taifune in ihr. Zuerst hatte Benito sie mit seinen Warnungen kirre gemacht und dazu verdonnert, zwischen den Wänden des Hauses umherzustreifen wie ein Tier hinter Käfigstäben. Getröstet hatte sie allein die Gewissheit, er werde sein Versprechen halten und sich so bald wie möglich bei ihr melden. Dann aber hatte sie von Stefan erfahren, dass er längst wieder in der Stadt war und eine Stellung im Haus von Georgia Temperley angetreten hatte.
Wenn er mir eine Nachricht sendet, lasse ich ihn einen Tag lang warten, beschloss sie. Er sollte leiden wie sie, seine eigene Grausamkeit schmecken. Eine Woche verging. Die Blockade hielt an. Luise jammerte Katharina die Ohren über Dinge voll, die für ihre Hochzeit nicht aufzutreiben waren. »Und der Geistliche, der mich trauen soll, weißt du, wer das ist? Ein katholischer Priester. Wie ich das meinem Vater beibringe, weiß der Himmel.«
Die Sanne kochte Gelee aus Guavas und Mangos und schimpfte das Haus zusammen, weil nichts fest wurde. Die Mutter schüttete das flüssige Gelee auf den Abfall und betonte, sie hätte es ohnehin nicht angerührt. Eine weitere Woche verging. Ich lasse ihn drei Tage warten. Von Jo hörte sie, bei einem Pass namens La Angostura sei eine Schlacht geschlagen worden, die General Santa Anna verloren habe. »Er hat die Toten am Wegrand liegen und von Kojoten fressen lassen«, berichtete Jo mit verheulter Stimme. »Und die Verwundeten auch! Die Soldateras haben die Hemden ihrer Männer in Bächen mit blutrotem Wasser gewaschen. Gerlinde sagt: Jetzt sind die Amerikaner bald hier und befreien uns.«
Katharina wollte nicht hören, was Gerlinde, sondern was Benito sagte. Dass sie so von dem, was um sie geschah, nichts wusste, beunruhigte sie. In ihrem Kopf sammelten sich Fragen, die sie ihm nicht stellen konnte, weil er nicht zu ihr kam. In den Nächten malte sie sich die schrecklichsten Dinge aus, die ihm zugestoßen sein mochten, doch wenn sie am nächsten Tag Stefan bestürmte, versicherte der ihr, Benito sei, soweit er wisse, wohlauf. Sie wollte ihn warten lassen, bis er darum bettelte, sie sehen zu dürfen.
Ihr fiel auf, wie leer ihr Leben war. Zu Miss Gordons Stunde ging sie nicht länger, sie war ohnehin hoffnungslos zurückgefallen. Doktor Messerschmidt weigerte sich, ein Mädchen ihres Alters noch zu unterrichten. Es gab nichts Neues zu lesen, kein Buch aus Europa traf ein. Ihre Mutter war selig, weil sie nicht mehr ausging, doch die Mutter war selbst kaum daheim, sondern half im Geschäft, um eine Schreibkraft zu sparen. Es schien, als werde jeder außer ihr gebraucht. Bot sie der Sanne an, ihr zu helfen, so brummte diese: »Ach Gottchen, Fräuleinchen, meine Arbeit schaffe ich auch ohne Ihre lieben linken Hände.«
Hatte sie, bevor Benito gekommen war, nie bemerkt, dass ihr Leben keinen Inhalt hatte? Stefan, Hermann und Sievert waren schon im Geschäft, und die jüngeren Vettern würden ihnen folgen. Luise bereitete sich auf ihr Leben als Gattin vor, und Jo erzählte, sie
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