Im Land der gefiederten Schlange
möglich aus der Stadt schaffen.
»Was du mit Carmen gemacht hast, ist scheußlich«, sagte sie, sobald sie sich aus dem Gedränge gekämpft hatten. »Ich hätte nie gedacht, dass du ein solcher Dreckskerl sein könntest.«
Er hatte gehofft, dass es darauf hinauslaufen würde. Es war schlimm, es gab ihr das Recht, ihn abzukanzeln, aber es schien geradezu belanglos, solange sie nur alle lebten, sich in ihre Hütte verkrochen und hinterher unversehrt herauskamen. »Ja, es ist scheußlich«, gab er zu, »doch am Ende wird Carmen froh sein. Sie hat einen Besseren verdient, und den wird sie auch bekommen.«
»Worauf du Gift nehmen kannst«, fauchte Xochitl. »Hör zu, ich bin nicht wegen Carmen hier, auch wenn ich dir am liebsten das Gesicht zerkratzen möchte. Carmen hat mich sogar beschworen, ich soll dem hohen Herrn kein Haar krümmen, aber leider kann ich nicht anders, denn du tust etwas, das noch schlimmer ist. Du hechelst der Deutschen hinterher, und das darf nicht sein.«
Inez! Also hatte sie angefangen ihre Drohung wahrzumachen. Würde sie so weit gehen, auch Katharinas Familie aufzusuchen, und wenn ja, was hätte das zur Folge? Die seltsamste und zugleich brennendste Frage aber lautete: Spielte das alles überhaupt noch eine Rolle, hatte ihr kleines privates Drama noch Platz in dem großen, das sich von nichts, das sie taten, aufhalten ließ? Der Tag war so schön. Die ersten Frühlingstage, ehe die drückende Hitze und der Regen ihren Wechseltanz begannen, waren wie Perlen in der Auster, die einzigen zarten Tage, die Veracruz kannte. Konnte etwas, das an solchem Tag begann, wirklich Gewalt genug haben, ihr Leben zu zerstören?
»Sprichst du nicht mit mir?« Xochitl packte seinen Arm. »Bist du der Ansicht, es ginge mich nichts an? Dann irrst du, Benito. Es gibt nämlich manches, das du nicht weißt …«
Etwas in ihm explodierte. »Es gibt auch manches, das du nicht weißt«, fuhr er sie an. »Ich lebe hier, in einer Metropole, nicht in einem aus Abfall nachgebauten Bergdorf, und hier kommt es durchaus vor, dass ein Nahua und eine Extranjera heiraten. Es mag nicht einfach sein, es mag der steinerne Weg in die Hölle sein, aber es fällt keinem Menschen davon der Himmel auf den Kopf, niemand verreckt daran, und kein Haus stürzt ein.«
Xochitl ließ ihn los und blieb stehen. Ihre dunkle Haut wurde fahl. »Das kannst du nicht«, brach es aus ihr heraus. »Katharina Lutenburg heiraten, das kannst du nicht.«
Bis vor Minuten hätte Benito dasselbe gesagt. Bis vor Minuten hatte er nicht einmal zu denken gewagt, er könne Katharina Lutenburg heiraten, er könne sich auch nur den Wunsch erlauben.
»Warum sucht das unsere Familie heim?« Xochitls Stimme klang, als würde sie gegen Tränen kämpfen. »Warum noch einmal, haben wir nicht genug bezahlt? Ich habe gedacht, du bist ein Dreckskerl, der mit Weibern spielt, und wenn ich dir nur gehörig eins auf die Finger gebe, wird alles wieder gut. Dass es so ist, habe ich nicht gewusst.«
»Was hast du nicht gewusst?«
»Dass du sie liebst. Die Deutsche. Katharina Lutenburg.«
Benito senkte den Kopf und starrte in den vergoldeten Staub. »Ich hab’s auch nicht gewusst.«
Er vernahm ihren Schritt, und dann spürte er ihre Hand an seiner Wange. »Es tut mir so leid«, sagte sie und streichelte ihn, als wären sie beide noch Kinder. »Ist das nicht verrückt? Es wäre mir lieber, du wärst ein Dreckskerl und müsstest nicht leiden.«
»Dreckskerle leiden auch, Xochitl.«
»Du darfst es nicht tun.« Sie streichelte ihn. »Die Mutter überlebt es nicht, sie ist krank vor Angst um Miguel.«
Benito zog sie kurz an sich, dann richtete er sich auf. »Das weiß ich«, erwiderte er. »Und jetzt vergisst du das alles und tust, was ich dir sage. Ganz gleich, was geschieht, du bleibst mit der Mutter und Carmen und Inez im Haus. Ich werde euch eine Weile nicht besuchen können, und in der Zeit müsst ihr mit dem auskommen, was ihr eben habt. Ich verspreche, wenn ich wiederkomme, darfst du mir das Gesicht zerkratzen, aber bis dahin bleibt ihr alle zusammen und wartet ab, in Ordnung?«
Er sah ihr scharf in die Augen, bis sie nickte. »Aber was ist denn los? Hat es etwas mit Miguel zu tun, ist Miguel in Gefahr? Du weißt, die Mutter würde …«
»Frag mich nicht«, sagte er und zog sie weiter. »Ich bin nicht klüger als du.« Und wenn ich es wäre, würde ich es nicht aussprechen. Wie einem abergläubischen Kind war ihm zumute. Als könnte das, was man sich weigerte in
Weitere Kostenlose Bücher