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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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orangeroten Blüten, die die Deutschen Marigold und die Nahua Cempoalxochitl nannten, war bis auf Strünke heruntergebrannt. Was übrig blieb, war verkohlt und tot, und doch spross an einem der Zweige eine einzelne Knospe in der Farbe reifer Blutorangen. Es war die falsche Jahreszeit, und die Pflanze lag in Fetzen, aber die Knospe ließ sich nicht beirren. Sie war prall und berückend schön und wuchs sorglos in den Tag.
    So wie der Strauch kam Katharina in diesen Frühlingswochen ihr Leben vor. Um sie lag ihre Stadt in Trümmern, tanzte der Tod, herrschten Heulen und Zähneklappern, und sie selbst heulte auch – um die Toten wie um die, die vor Schmerz nicht wussten, wie sie weiterleben sollten. Inmitten von allem aber blühte ihre Liebe, erwuchs ein Glück, das aus ihr herausplatzen wollte und zugleich ganz still war, zu groß für Worte und ohne Worte sich selbst genug.
    Die gesamte Menschheit mochte ihr erklären, sie habe nicht nur eine törichte, sondern eine wahnwitzige Wahl getroffen, weil sie und Benito zwei unvereinbaren Welten entstammten. Im Inneren wusste sie: Sie hatte die klügste und einzig mögliche Wahl getroffen. Sie war kein leichtsinniges Gör, das sich mit einer unbedachten Amour fou ins Unglück stürzte, sondern eine junge Frau, die den Mann gewählt hatte, der zu ihr passte. Um sie mochte die Welt gegen sich selbst rasen, aber sobald sie beide allein waren, glätteten sich die Wogen. Es war amüsant zu entdecken, dass ihr Herz vor Erregung jagte, sobald sie Benito erblickte, dass aber zugleich etwas in ihr zur Ruhe kam. Ebenso köstlich war, dass sie ihn mit so viel Wildheit begehrte, dass sie Finger und Zähne in sein Fleisch graben wollte und dass er zugleich eine Zärtlichkeit in ihr weckte, die sie nie gekannt hatte.
    War es möglich, dass man mit einem Mann kein Wort wechseln konnte, ohne den brennenden Wunsch, ihm die Wange zu streicheln, die Schulter zu küssen, die Hand auf sein Herz zu legen? Die innige Zärtlichkeit schien sich um sie auszubreiten. Sie waren Benito und Katharina, die Liebenden von Veracruz, sie gingen Hand in Hand durch die Trümmer, und ihre Zärtlichkeit tröstete die verwundete Stadt. Zuweilen sahen sie einander im Gehen an und mussten lachen, weil das alles so verrückt und himmlisch und gänzlich unglaublich war.
    Während der Tage im Lagerkeller hatten sie geredet, wie um Jahre aufzuholen.
    »Benito, warum hast du mir wochenlang kein Zeichen gesandt? Ich bin nicht mehr wütend auf dich. Ich will es nur begreifen.«
    »Ich habe es dir schon einmal erklärt, Ichtaca. Manchmal muss ich das tun. Mich in meinen Bau zurückziehen wie ein Tier …«
    »Weil dich jemand verletzt hat? Ich?«
    »Nein«, antwortete er. »Weil mir jemand gesagt hat, wenn ich dir kein Leid antun will, dürfe ich dich nicht wiedersehen.«
    »Wer hat das gesagt? Ich erwürge ihn.«
    Benito lachte. »Dafür, dass er recht hat?«
    »Er hat nicht recht. Das musst du selbst begriffen haben, denn sonst wärst du nicht zurückgekommen.«
    Er hatte das zärtlichste Lachen auf der Welt. »Ich bin weder so edel noch so stark, wie du es dir zurechtmachst, Süßholzrasplerin. Ich bin zurückgekommen, weil ich sonst verrückt geworden wäre.«
    »Schwöre«, befahl sie, »dass du das nie wieder tust. Versuchen, ohne mich zu leben, weil mir anderes weh tun könnte. Vielleicht ist Leben so und tut ein bisschen weh. Und wenn es nicht weh tut, ist es kein richtiges Leben.«
    »Manchen tut es sehr weh, Ichtaca. Nicht nur ein bisschen.« Er spielte mit ihrem Haar und sagte etwas, das noch nie ein Mensch zu ihr gesagt hatte: »Du bist so schön. Ich wünschte, das Leben hätte Achtung vor dir.«
    Zwischen dem Reden liebten sie sich, tranken Wein, schliefen beieinander ein. Zweimal musste er sie für Stunden verlassen, weil er sich bei seinem Capitán zu melden und Nachrichten durch die brennende Stadt zu tragen hatte. Die Angst um ihn war eine Tortur, aber ehe sie daran verzweifelte, fiel ihr ein, dass sie ebendas beschlossen hatte – es auszuhalten. Auch wenn es weh tat. Sie fühlte sich zehn Jahre älter als vor Tagen. Zur Frau machten einen keine Tücher zwischen blutverschmierten Schenkeln.
    Als er wiederkam, brachte er ihr eine Decke, in braunes Papier gewickelte Kürbiskerne und eine Avocado mit. Etwas anderes gab es nicht in der um ihr Leben kämpfenden Stadt. Sie bemerkte, wie hungrig sie war. Er zerdrückte das Fleisch der Avocado mit dem Finger, tauchte die Kürbiskerne hinein und fütterte sie.

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