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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Dazu erzählte er ihr die Geschichten, nach denen sie ihn fragte.
    »Benito, glaubst du wirklich an diesen Schlangengott, von dem ich den Namen schon wieder vergessen habe?«
    »Quetzalcoatl. Regen, den der Wind trägt. Ja, vielleicht glaube ich an ihn. Was soll mit den Göttern, an die keiner mehr glaubt, denn geschehen? Sind sie nach all dem Aufwand, der mit ihnen getrieben wurde, einfach nicht mehr da?«
    »Und warum muss er sich an uns rächen? Dass eine Frau ihn liebte und ihn um jeden Preis haben wollte, ist doch keine Untat.«
    Er schloss ihr mit Küssen die Augen. »Du gibst nie auf, nicht wahr? Die Frau, die ihn verführte, war eine geweihte Priesterin, die er nie hätte anrühren dürfen. Als er am Morgen erwachte und sich in ihren Armen fand, stürzte er sich vor Selbsthass in ein Feuer und verbrannte. Bist du jetzt froh, das zu wissen, meine Priesterin Katharina Lutenburg, die alles bekommt, was sie will?«
    »Halt den Schnabel, mein Schlangengott Benito Alvarez. Wenn er doch aber gestorben ist, wie kann er dann wiederkommen und sich rächen?«
    Benito grinste. »Ich bin Katholik. Für mich ist solche Vorstellung überhaupt keine Schwierigkeit.« Sie schlug mit der Decke nach ihm, und sie balgten und liebten sich, auch wenn er der Liebe, sobald sie sie am meisten genoss, ein Ende machte. »Das will ich dir nicht auch noch antun, dass du ein Kind von mir bekommst.«
    Die Vorstellung, daraus, dass sie sich liebten, könne ein Kind in ihr wachsen, war noch abenteuerlicher als die von verbrannten und auferstandenen gefiederten Schlangen.
    Benito drückte sie an sich. »Ich glaube, er rächt sich nicht«, flüsterte er. »Er hat uns den Tanz geschenkt, er liebt seine Priesterin noch immer, und sein Herz steht als Morgenstern am Himmel. Alles andere haben sich Leute ausgedacht, die vermutlich Gründe hatten, ihn zu fürchten.«
    »Und La Llorona, Benito? Haben sich La Llorona auch Leute ausgedacht?«
    »Warum hast du todesmutiges Geschöpf nur solche Angst vor La Llorona? Du warst ein braves Mädchen mit Zöpfen, dich hätte sie nicht angerührt, bis du dir in den Kopf gesetzt hast, einen verfemten Wilden zu lieben.« Er griff in die Säcke und förderte die Pistole zutage. »Und wenn sie jetzt kommt und dich holen will, schießt dein verfemter Wilder sie tot, abgemacht?«
    Sie konnte nicht lachen, solange er die Pistole in der Hand hielt. »Sie zieht durch unsere Siedlung«, murmelte sie. »Meine Mutter hört sie. Und die anderen auch.«
    »Aha«, bemerkte Benito und schloss die Arme um sie, bis das Grauen, das sie erfasst hatte, ein wenig nachließ. »Ich fürchte, meine vernünftige Hanseatin ist auf dem besten Wege, eine abergläubische Mexikanerin zu werden, die alles schluckt, was man ihr in den Mund steckt, wenn es nur ordentlich gewürzt ist.«
    »Aber die anderen haben sie doch wirklich gehört! Meine Mutter ist die vernünftigste Frau der Welt, die lässt sich nichts einreden.«
    »Nein, natürlich nicht.« Er küsste sie. »Nur, dass ihre Tochter beflissen Englisch studiert und als Dauergast bei einer gewissen Georgia Temperley logiert. Mein Herz, was ruft denn die Llorona, wenn sie nachts durch eure Straßen zieht? Ay mis hijos?«
    Verwirrt schüttelte Katharina den Kopf.
    »Aber das ruft sie der Legende nach. Ay mis hijos, o weh, meine Kinder. Ist es nicht eigenartig, dass sie auf einmal Deutsch gelernt hat, um bei euch zu spuken? Willst du wissen, was ich glaube? Die Llorona war eins von den bettelarmen Weibern, die ihre Kinder und sich ersäufen wollte, um ihnen nicht beim Verhungern zuzusehen. Und als ein Menschenfreund sie aus dem Wasser und vor den Henker zerrte, haben geifernde Zuschauer eine Legende draus gemacht.«
    »Aber sie war doch die Geliebte des Schlangengottes«, fuhr Katharina noch verwirrter dazwischen, »es war sein Sohn, den sie ertränkt hat, du hast es mir selbst erzählt.«
    »Und ich habe dir auch erzählt, dass dies die mexikanischste Version der Geschichte ist. Die verrückte, die alles vermischt. Aufs Vermischen verstehen wir uns, weil wir ein Volk von Vermischten sind.« Zum Beweis tauchte er noch einen Kürbiskern in den Avocadobrei und fütterte sie. »Die Geliebte des Eroberers Cortez, den sie angeblich für den Gott Quetzalcoatl hielt, hatte in der Tat einen Sohn. Aber sie hat ihn nicht ersäuft. Sie hat ihn unter Cortez’ Dach aufgezogen, er taufte ihn Martin, und als er später seine Frau aus Spanien holte und die ihm einen Sohn gebar, nannte er den ebenfalls

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