Im Land der gefiederten Schlange
du ein Ende machst. Ein für alle Mal.«
Katharina sah Stefan nicken, und einen Moment lang verachtete sie ihn. Hatte er keinen Kampfgeist, war seine Liebe ihm nichts wert?
»Mit der Verhätschelung, die ihr gewohnt seid, ist es ohnehin vorbei«, beendete die Mutter das Gespräch. »In diesen Tagen wird sich zeigen, auf wen die Familie zählen kann und auf wen nicht.«
Damit war das Thema erledigt. Die Mutter drohte Katharina zwar an, sie werde von nun an jeden ihrer Schritte überwachen, doch in Wahrheit fehlte dazu sowohl Zeit als auch Kraft. Wenn sie nicht hungern wollten, mussten sie in der besetzten Stadt Vorräte auftreiben und dazu Geld, um sie zu bezahlen.
Katharinas Mutter riss kurzerhand die Anrichte auf und räumte das Porzellan mit dem Zwiebelmuster auf den Esstisch. »Was willst du damit?«, fragte der Vater, der ins Zimmer trat.
»Es auf den Karren laden«, erwiderte die Mutter, ohne sich nach ihm umzudrehen. »Es auf dem Markt verkaufen.«
Er nahm es hin und trollte sich. Dass sie das Meißener Service, das Großmutter Lutenburg aus der Heimat mitgebracht hatte, auf einem Markttisch verscherbeln wollte, schien ihn nicht zu kümmern. Als Nächstes schleppte sie das Schaukelpferd und die Wiege des toten Bruders aus dem Haus.
Wie die schwere Luft schwüler Tage senkte sich die Trauer auf die Bewohner der Siedlung. Nach und nach erfuhr Katharina, was geschehen war. Sobald die Männer von den brennenden Kontoren heraufgekommen waren, hatten sie bemerkt, dass von den Kindern der Familie nur Helene und die Zwillinge daheim waren. Eine entsetzliche Ewigkeit lang hatten sämtliche Eltern gefürchtet, mindestens eines ihrer Kinder nicht wiederzusehen, nicht lebend und im schlimmsten Fall nicht einmal tot.
Für Jo und Felix hatte niemand Hoffnung gehegt, aber Jo war zurückgekehrt. Sie hatte bei Gerlinde eine Waffenruhe abgewartet und war dann heimgelaufen, um ihre Eltern von der Sorge zu erlösen. Kurz darauf kam auch Stefan unversehrt nach Hause. War er mit seinem Dienstmädchen untergekrochen? Und wenn – wie konnte er das Mädchen aufgeben, nach allem, was sie durchgestanden hatten? Katharina hätte ihm diese Frage gern gestellt, doch er wich ihr aus, und das wunderte sie nicht.
Zu dieser Zeit galten Katharina und Felix als verloren. »Deine Mutter hat sich in ihr Zimmer eingeschlossen und Tag und Nacht geschrien«, erzählte ihr Helene. »Schlimmer als die Llorona. Du musst einen guten Grund gehabt haben, fortzubleiben, Katharina. Wenn es dich erwischt hätte – deine Mutter wäre daran gestorben.«
»Ich hatte einen bestechenden Grund«, fauchte Katharina, die sonst auf Helenes Gehässigkeiten nie viel gegeben hatte. »Meine Stadt stand in Flammen.«
»Deine Stadt?« Helene schob sich die Brille zurecht. »Ich dachte, deine Stadt hieße Hamburg wie meine, aber so irrt man sich eben. In diesem Inferno zeigt mancher sein wahres Gesicht.«
Am Morgen der Kapitulation kam Felix zurück. Er habe sich, so erzählte er, »bei Leuten« verborgen, und wer die Leute waren, wurde nie gefragt. Onkel Fiete fiel auf die Knie und schwor, er werde gegen die Trauung seiner Tochter durch einen katholischen Priester keinen Einwand erheben, sondern zum Katholizismus übertreten, um Gott für die Errettung seiner Kinder zu danken.
Um Sievert und Luise, die man bei den Eycks in Sicherheit wähnte, sorgte sich kein Mensch, und doch waren es Luise und Sievert, die gestorben waren. Auf dem Heimweg von einem Stelldichein mit Luises Bräutigam, getötet von einem Querschläger, einer schlechtgezielten Granate, zur falschen Zeit, am falschen Ort. Sigmund Eyck, der an der Straße stand, um seiner Liebsten nachzuwinken, sah mit an, wie sie zerfetzt wurden. Es war Claudius von Schweinitz, der veranlasste, dass das, was von Sievert und Luise übrig war, geborgen wurde. Der Baron befand sich auf Besuch bei seinem Schwager und nahm es auf sich, Luises Familie die Schreckensnachricht zu überbringen.
Die Trauer war überwältigend. Mitten im Frühling war es in den Häusern der Siedlung kalt. Der Gedanke an Fiete, der mit dem Gewicht geprahlt hatte, das seine Kinder auf die Handelswaage brachten, verschnürte Katharina die Kehle. Was er gesagt hatte, all die abscheulichen Worte, spielte keine Rolle mehr.
In einem fort betonte Helene, sie müssten jetzt für die Familie da sein und eigene Wünsche zurückstellen. Katharina aber war sicher, sie könne für niemanden da sein, wenn nicht Benito sie in die Arme nahm und die
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