Im Land der gefiederten Schlange
gesprochen hast, wusste ich plötzlich: Es ist das, was ich will. Auch wenn ich meinem schönen Offizier ein paar Tränen nachweine.«
»Die weinst du aber besser ohne deinen Bräutigam.«
Martina schürzte die Lippen. »Du hast mich gar nicht gefragt, wer es ist.«
»Ich würde ihn doch sowieso nicht kennen«, erwiderte Katharina. Vermutlich war es ein brillanter junger Mediziner, und zusammen würden die zwei herausfinden, wie man die Schwarze Kotzerei und alle Übel der Welt heilte.
»Ich denke, ich sage es meinen Eltern an Weihnachten.«
»Das wird ein schönes Geschenk für sie sein.«
Eine Zeitlang schwiegen sie beide, dann setzte Martina noch einmal an: »Du, das Gedicht mit der Sonne Schimmer vom Meer, das kenne ich. Es ist von Goethe, nicht wahr?
Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne – du bist mir nah.
«
»Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne – o wärst du da.«
Der Klumpen in Katharinas Brust stieg in die Kehle und erschwerte ihr das Atmen. »Ich muss jetzt gehen«, flüsterte sie Martina zu, und die ließ sie los.
Sie hatten vereinbart, dass Stefan, der bis in den Abend unterrichtete, sie vor dem Palais abholen sollte, um gemeinsam im Deutschen Haus zu Abend zu essen. Sie taten das oft. Dem Essen merkte man an, dass am Pfeffer gespart wurde, doch als Lehrkräfte bekamen sie es zum verbilligten Preis, und es war schön, noch ein wenig über den Unterricht zu reden, Erfahrungen auszutauschen und sich zu beraten. Als sie ihn kommen sah, seinen schlaksigen, vornübergeneigten Gang, die falsch geknöpften Kleider und das ungekämmte Haar, musste sie lächeln und fühlte sich gerührt.
Da er noch immer keinen Wagen lenken konnte, gingen sie zu Fuß und setzten sich an ihren angestammten Tisch im Erker. Sie wählte einen Heringstopf, er einen Sauerbraten, und sie redeten über Politik. Was Martina aufbrachte, vermutete auch Stefan. Napoleon III . hatte seine Truppen nicht nach Mexiko geschickt, um Schulden einzutreiben, sondern um einer Regierung den Weg zu bereiten, die ihm in seine wirtschaftlichen Pläne passte.
»Und hat er Aussichten, damit durchzukommen?«
»Nun, er hat noch einmal Verstärkung erhalten, und dass die Vereinigten Staaten ihre Waffen selber brauchen und Juárez nichts verkaufen, kommt ihm zupass. Sein stärkster Trumpf dürfte der Zulauf der Konservativen sein. Das ist die ewige Krux in diesem Land, die innere Uneinigkeit. Aber einen so starken Präsidenten wie Juárez hatte Mexiko noch nie. Ich denke, er lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen.«
Sie redeten auch über ihre Familie, die wieder einmal Sorgen hatte. Die Geschäfte gingen schlecht, weil viele Mexikaner sich in ihrem Zorn über die Invasion weigerten, bei Fremden zu kaufen, egal, ob diese Fremden Franzosen, Briten oder Hanseaten waren. Auch Angst vor Übergriffen wurde laut. Der preußische Gesandte hatte einen Anschlag auf sein Haus mit knapper Not überlebt, es kam zu Überfällen und Entführungen, obgleich Juárez per Dekret angeordnet hatte, jegliche Angriffe auf Fremde zu unterlassen. »Ist das denn Juárez’ Guerilla, die so etwas tut?«, fragte Katharina.
Stefan schüttelte den Kopf. »Ich vermute, es sind vor allem Banditen, denen jeder Grund recht ist, um Verbrechen zu begehen. Aber das schürt die Angst deiner Mutter natürlich umso mehr.«
»Weshalb die Angst meiner Mutter?«
»Deine Mutter und Onkel Christoph sind damals, als sie im Hafen vom Schiff gingen, von Banditen überfallen worden. Hast du das nicht gewusst?«
Katharina hatte davon nichts gewusst. Wieder einmal wurde sie darauf gestoßen, dass es in ihrer Familie etliches gab, das einer vom anderen nicht wissen durfte. Sie schüttelte es ab und erzählte Stefan von Martina. Ihre Heiratsabsicht amüsierte ihn.
»Martina ist ein verrückter Vogel«, sagte er. »Sie hat dieses überschäumende Selbstbewusstsein von Menschen, die immer geliebt wurden und all ihre Wünsche erfüllt bekamen.«
»So wie ich, meinst du?«
»Nein, Kathi, das habe ich nicht gemeint. Martina weiß, wo sie hingehört. Und trotz all ihrer Heldentaten hat ihr, glaube ich, in ihrem Leben noch nie ein Mensch weh getan. Du kannst nicht annehmen, dass ich so von dir denke …«
Katharina hob die Hände. »Es ist gut, Stefan. Ich will dir etwas sagen. Als du mir an Weihnachten versichert hast, es eile nicht, hast du vermutlich nicht angenommen, dass ich mir Zeit lassen würde, bis Weihnachten schon wieder naht. Du hattest recht in der
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