Im Land der gefiederten Schlange
und jedes Mal wünschte er sich, es möge Miguel sein.
Der Junge würde ihm böse sein. Er hatte Carmen geschrieben und die Gründe für die Verschiebung der Reise erklärt, aber ob ein Brief in diesen Tagen ankam, war fraglich, und überhaupt, was nützte einem Neunjährigen Gerede von Gründen? Nein, verbesserte er sich, Miguel war schon zehn. Er hatte wieder ein Jahr mit ihm versäumt, und zu Ostern würde er ihm diesmal nicht erlauben können, mit der Postkutsche zu ihm in die Hauptstadt zu reisen. Er sprang vom Pferd und führte den Schimmel den Hang hinunter. Eine der grünen Türen öffnete sich, eine Frau mit einem Wäschekorb trat heraus, winkte und rief etwas zurück ins Haus. Gleich darauf kam der kleine Junge, gefolgt von drei weiteren Kindern, ins Freie gerannt. Trotz allem – es war gut, hierherzukommen. Alles fügte sich und bekam wieder Sinn.
Nachdem er die Kinder begrüßt und die unvermeidliche Predigt seiner Mutter hinter sich gebracht hatte, brach er mit Carmen zu einem Spaziergang über den Rancho auf. Wie immer erfüllte ihn der Zustand des Geländes mit tiefer Befriedigung. Xavier, sein Schwager, und die beiden Frauen legten all ihre Kraft in die Bestellung des Landes. Die Bodenreform hatte es Benito erlaubt, zu der Milpa, auf der sie angefangen hatten, Land dazuzukaufen, und Carmen, Xochitl und Xavier brachten es zum Gedeihen. Die Maisfelder waren frisch eingesät, gestützt von den hohen Stauden würden Bohnen sprießen, und das Vieh war fett und hatte glänzendes Fell. Es war ein Risiko gewesen, die genügsamen Ziegen gegen Rinder, die in der Haltung teurer waren, einzutauschen, aber es hatte sich ausgezahlt.
Carmen hakte sich bei ihm ein. »Du siehst ziemlich zerknirscht aus, Schöner. Hat deine Mutter dich arg ins Gebet genommen?«
»Das kann man wohl sagen.«
Sie strich ihm über den Arm. »Nimm’s dir nicht zu Herzen. Wenn du nicht da bist, lobt sie dich in den höchsten Tönen, bis keiner von uns es mehr hören kann.«
Benito lachte. »Nein, ich nehme mir nichts zu Herzen. Ich bin zerknirscht, weil Miguel mich gefragt hat, ob er Ostern wieder zu mir kommen darf, und weil es weh tut, ihn zu enttäuschen.«
Wieder streichelte sie seinen Arm, offenbar ohne den Verband zu spüren. »Es steht schlimm, ja?«
Er sah über die Koppel hinweg nach den nackten Gipfeln der Bergkette. Nie war dieses Land so schön wie im Abendlicht des gerade erwachenden Frühlings. »Ich weiß es nicht, Carmen«, sagte er. »Die Franzosen werden alles daransetzen, ihre Schlappe auszuwetzen und uns Puebla abzunehmen. In Frankreich sind in ein paar Monaten Wahlen – dafür will sich Louis Napoleon um jeden Preis einen mexikanischen Sieg an die Brust heften.«
»Aber was will er denn hier?«, fragte Carmen. »Auch wenn ich deine Zeitung nicht lese, halte ich mich nicht für eine dumme Frau, doch dieser Kaiser Napoleon ist mir ein Rätsel. Will er Mexiko statt zur spanischen jetzt zur französischen Kolonie machen?«
Benito schüttelte den Kopf. »Vielleicht weiß er das selbst nicht genau. In jedem Fall will er ein Mexiko, das militärisch wie wirtschaftlich an Frankreich gebunden ist. Darüber hinaus gefällt es ihm wohl einfach, die Geschicke der Welt auf seinem Spielbrett auszuwürfeln. Offiziell lässt er verkünden, die französische Armee sei gekommen, um das gemarterte Mexiko von der Anarchie der Liberalen und ihres Vollblutaffen zu befreien.«
»Er wird also, wenn er siegt, die Konservativen zurück an die Macht bringen. Werden sie uns unser Land wegnehmen, Benito, werden wir mit nichts dastehen?«
Einen Herzschlag lang schloss er sie in die Arme. »Nichts und niemand wird euch euer Land wegnehmen. Ich verspreche es dir – genügt dir das?« Sie nickte, und er ließ sie los. »Im Übrigen würde Napoleon kaum unseren Konservativen das Ruder überlassen, sondern eine Regierung nach seinem Gutdünken einsetzen. Einen europäischen Monarchen.«
»Er muss völlig verrückt sein.«
»Das sagen viele. Aber er ist ein Verrückter mit gewichtigen Trümpfen auf der Hand.«
»Wird er also Puebla bekommen?«
Benito lächelte. »Du wirst von mir nicht erwarten, dass ich dir militärische Geheimnisse anvertraue.«
»Ich erwarte von dir, dass du mir sagst, was du denkst.«
Er reichte ihr wieder den Arm, der in der steifen Haltung zu schmerzen begann, und führte sie weiter. »Ich denke, wir haben das Zeug, sie aufzuhalten. Unser gefährlichster Gegner ist ihre Contré-Guerilla, die niedermetzelt,
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