Im Land der gefiederten Schlange
von den Soldaten, die dachten, ich bin eine radikale Kirchengegnerin, und davon, dass der Mann gesagt hat, dass ich mutig bin und unser Land mich braucht …«
Josephine überlegte blitzschnell. Ihre Tochter sah nicht älter aus als zehn Jahre, doch in Wahrheit war sie in einem Alter, in dem selbst nach der neuen Verfassung Mädchen heiraten durften. In einem Alter, in dem Kathi eine ganze Stadt abgesucht hatte, um ihren Liebsten wiederzufinden. »Kathi und dieser Mann haben einmal etwas erlebt, das ihnen furchtbar weh getan hat«, sagte sie. »Es ist viele Jahre her, aber es könnte ihr vielleicht noch einmal weh tun, wenn sie hört, dass wir ihn getroffen haben.«
Es ist vierzehn Jahre her, er ist verheiratet und hat einen Sohn, und sie ist bald dreißig und lebt für ihre Schule. Sicher hätten sie gelacht, wenn ich ihn mitgenommen hätte, und einander höflich frohe Ostern gewünscht.
»Du sagst ihr kein Wort, hast du gehört?«, fuhr sie noch einmal ihre Tochter an.
Felice nickte verstört, und beide gingen weiter. Dort, wo die Allee in den Platz mündete, sah Josephine Kathi stehen, die hüpfte und mit dem
El Siglo
winkte. Wie ein junges Mädchen, dachte Josephine. Ich habe recht getan, sie nicht in Versuchung zu führen.
31
»Sieh dir diesen Dreck an«, rief Martina und hielt den Fetzen Papier in die Höhe. Katharina musste lachen, auch wenn das Thema nicht komisch war. Martina trug einen grünen Seidenrock mit Stahlkrinoline und ein taillenkurzes Jäckchen, das ihr die Luft abschnüren musste. Sie war gekleidet wie für einen Ball in der einstigen französischen Botschaft, sah aber aus wie eine Guerillera, die den Sieg der Liberalen vom Dach hinunterrief.
Auf dem Dach saßen sie in der Tat – Martina bewohnte ein entzückendes Stadtpalais der Kolonialzeit, geschmiegt an die Südseite des Parks Alameda, und hatte ihren Dachgarten zum Paradies zwischen Limonenbäumen, Jasmin und Magnolien ausgestaltet. Katharina saß liebend gern hier. Wie den ganzen September hatte es den Nachmittag über wie aus Kübeln geregnet, und jetzt roch die Luft, als wäre sie frisch gewaschen worden.
Martina warf den verhassten Fetzen auf den Tisch. Es war die Proklamation, die der französische Gesandte Saligny in Orizaba an die Häuser hatte anschlagen lassen. »Mexikaner! Wir sind nicht hergekommen, um an euren Disputen teilzuhaben, wir sind gekommen, um sie zu beenden! Die französische Flagge weht auf mexikanischem Boden, und diese Flagge wird nicht weichen. Der weise Mann grüßt sie als eine Flagge der Freundschaft.«
»Hast du mich deswegen herbeordert?«, fragte Katharina.
Martina schüttelte den Kopf, dass ihre goldbraune, am Hinterkopf geraffte Mähne flog. »Ein Kommilitone hat es mir gerade gebracht. Es hat mir das Abendessen gründlich versalzen.«
»Es ist doch Monate alt«, versuchte Katharina sie zu beruhigen. »Seitdem sind die Engländer und Spanier nach Hause gefahren, die Franzosen haben in Puebla verloren, und die Absicht, auf Mexiko-Stadt zu ziehen, haben sie ohne Zweifel aufgegeben.«
»Sei dir da nur nicht zu sicher. In Veracruz ist Verstärkung eingetroffen, der Satan Marquez mit seinen Verrätertruppen hat sich den Franzosen angeschlossen, und unsere eigenen Leute beharken sich schon wieder gegenseitig oder kneifen vor Angst die Schwänze ein.«
Martina nahm die Karaffe vom Tisch und schenkte sich ein großzügiges Maß ein. Sie zitterte wie ein schönes Pferd vor dem Galopp, fand Katharina. Es klang geradezu komisch, wenn Martina von Schweinitz, die als Prinzessin auf der Erbse in einem Palais lebte, die Truppen der Liberalen
unsere eigenen Leute
nannte, aber Martina war eben mehr als nur eine höhere Tochter. Sie war wie Mexiko – ein Widerspruch in sich.
Entschlossen, Ärztin zu werden, was ihr Geschlecht ihr verwehrte, hatte sie sich während des Bürgerkriegs freiwillig zur Krankenpflege gemeldet und war nach Tacubaya versetzt worden, wo die liberale Armee in der Villa des Erzbischofs ein Lazarett errichtet hatte. Unter dem berühmten Doktor Sanchez, der Juárez’ medizinisches Korps leitete, hatte sie die denkbar beste Ausbildung erhalten. Als im April 1859 konservative Truppen unter General Marquez den Vorort einnahmen, waren Sanchez und sein Stab mit Operationen beschäftigt. Marquez befahl ihnen, die Männer verbluten zu lassen, und als sie sich weigerten, gab er den Befehl, sämtliche Anwesende – Verwundete, Ärzte, Pfleger und Studenten – zu erschießen. Das Massaker
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