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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Aufrührer verhaften. Aber zugleich war sie zweifellos stolz, so einen Sohn zu haben, der die Zusammenhänge erfasste, obgleich er nur wenige Jahre eine Schule besucht hatte. Zwar sollte Schulbildung im freien Mexiko für jeden zugänglich sein, doch die Wirklichkeit sah anders aus. Zur Schule ging, wessen Familie sich leisten konnte, auf seine Arbeitskraft zu verzichten.
    Benito jedenfalls war stolz auf Miguel, auch wenn ihm das, was er tat, nicht recht durchdacht und leichtsinnig erschien.
    »Verlangen wir denn viel?«, fragte der Bruder jetzt. »Schiffbare Flüsse, Handelsverträge, all das brauchen wir nicht. Wir, das Volk von Mexiko, wollen nicht mehr als über den Flecken Land bestimmen, den wir mit unseren Händen bestellen. Ist unser Boden nicht fruchtbar? Wenn wir die Früchte, die er hervorbringt, selbst essen dürfen, weshalb sollten wir Hunger leiden oder die Hilfe der Extranjeros, der verdammten Ausländer, nötig haben?«
    Benito wusste auf keine dieser Fragen eine Antwort. Er war nicht zur Schule gegangen. Als er alt genug gewesen wäre, waren sowohl sein Vater als auch sein Pate tot, und die Mutter musste sich allein durchschlagen. Was er konnte, das bisschen Lesen und Schreiben, verdankte er Katharina und ihrem Vater. Er mochte nicht, dass Miguel gegen die Ausländer wetterte, aber noch weniger mochte er, dass seine Mutter litt, weil die Dinge waren, wie Miguel sie beschrieb. Immer war ihm, als würden in seiner Brust zwei Kräfte kämpfen, wie Schlangen, die einander zerfleischten. Stumm ging er weiter und hoffte, dass Miguel ihm folgte.
    »He, kleiner Bruder.« Miguel holte ihn ein und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er hatte große Hände, und Benito wurde noch immer warm, wenn er sie spürte, wie als kleines Kind. »Warum so missmutig? Soll ich dir etwas verraten, um dich aufzuheitern? Ja, die Lage ist übel, und seit Santa Anna, der Satan, den Kongress geschlossen hat und per Dekret wie von Gottes Gnaden regiert, wird alles noch schlimmer, doch die Zeiten, in denen wir tatenlos zugeschaut haben, sind vorbei. Sind wir vielleicht schwach? O nein, wir sind nur zerstritten wie in all den Jahrhunderten. Die verdammten Spanier hätten uns nie unter ihre Fuchtel zwingen können, wenn unsere Völker einander nicht verraten hätten.«
    Er hatte Benito schon oft darüber Vorträge gehalten. Die zahlenmäßig unterlegenen Spanier hatten sich des einen Volkes bedient, um das andere zu besiegen, und dazu kam La Malinche, die dunkle Prinzessin, die sich für den weißen Eroberer zur Hure machte und ihm ihr Land vor die Füße warf. Es gab jedoch noch eine andere Seite der Geschichte. In den Häusern der Extranjeros hatte er gehört, die Spanier hätten die Völker Mexikos unterwerfen können, weil dessen Angehörige ihn für einen Gott hielten. Für ihren Schöpfergott Quetzalcoatl, die Schlange mit den grünen und scharlachroten Federn des Quetzal-Vogels, dessen Willen sie sich zu beugen hatten.
    Alle Geschichten hatten mehr als nur eine Seite, sie ließen sich aus mehreren Winkeln betrachten und veränderten dabei ihr Gesicht, aber davon sagte er nichts zu Miguel. Der zwinkerte ihm zu, zog eine seiner kurzen braunen Zigaretten aus der Brusttasche und steckte sie an. »Ein einiges mexikanisches Volk wäre durchaus imstande, ihnen allen die Stirn zu bieten«, fuhr er fort. »Auch unseren Nachbarn im Norden, die nur darauf warten, dass wir uns gegenseitig abschlachten, damit sie sich uns einverleiben können. Vereint und bewaffnet würden wir sie in die Schranken weisen, und wir haben ja angefangen, uns zu bewaffnen, wir, die einfachen Männer auf dem Land und in den Vorstädten. Auf dem Zócalo von Mexiko-Stadt hat es bereits einen Aufstand gegeben …«
    »Der niedergeschlagen wurde«, rutschte es Benito heraus, ehe er sich bremsen konnte.
    »Und wennschon. Das ist nur der Anfang.« Miguel packte ihn am Arm, zog seinen Kopf zu sich und flüsterte dicht an seinem Ohr: »Alles, was wir brauchen, sind bessere Waffen. Mit ein paar rostigen Macheten lässt sich nichts ausrichten, aber wenn wir Schusswaffen haben, werden sich die Proteste zu einem gewaltigen Aufstand bündeln lassen. Ich selbst – dein eigener Bruder, mein Kleiner – gehöre zu einer Gruppe, die erbeutete Gewehre und Munition in den Dörfern verteilt. Im Geheimen natürlich – zu niemandem ein Wort, verstanden? Auch der Mutter darfst du nichts sagen, du weißt ja, sie macht sich vor Sorge verrückt.«
    Verrückt vor Sorge fühlte

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