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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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seine Leute lebten, sie mitzunehmen, wenn er zu seiner Mutter ging. Dass das unmöglich war, verstand sie nicht – wie sie auch nicht verstand, dass er kein Kind mehr war, sondern ein Mann, der Mädchen mit anderen Augen betrachtete. Nie im Leben hätte er Katharina Lutenburg mit solchen Augen betrachten dürfen, nicht einmal, wenn sie im rechten Alter gewesen wäre. Die Flause, dass sie ihn heiraten wollte, musste er ihr austreiben. »So ein Unsinn. Wenn du alt genug bist, heiratest du deinen Vetter, den schönen Stefan«, hatte er gesagt.
    Daraufhin hatte sie ihm voll Ungestüm die Arme um den Hals geworfen, ihn klatschnass auf den Mund geküsst und ausgerufen: »Den Stefan, den sollen die anderen schön finden. Für mich bist du der schönste Mann der Welt – zumindest der mit den schönsten Händen.«
    Benito sah seine Hände an und schluckte noch einmal an einem Lachen. Etwas daran war köstlich, obwohl er davon träumte, dass ihn andere Mädchen auf andere Weise küssten, und obwohl es ihm übel bekommen wäre, wenn irgendwer davon erfahren hätte.
    Jemand klopfte dreimal scharf an die Tür seines Verschlags, der hinter dem Pferdestall angebaut war. Miguels Zeichen. Benito warf den Spiegel aufs Bett und zog die Tür, die in den Angeln knarrte, auf. »Findest du das richtig«, fragte der Bruder statt einer Begrüßung, »dass du im Stall schlafen musst, während die da in ihrem Palast wohnen? Ist das hier dein Land oder ihres, he?«
    Benito seufzte. Dass Miguel von seinen Brotgebern nur als von
denen da
sprach, war er gewohnt, und auch die Frage hatte der Bruder ihm schon mehrmals gestellt. »Mir ist es recht«, murmelte er und beließ es dabei. Miguel zu erklären, dass ihm die Nähe der Pferde lieber war als die der Menschen, hatte keinen Sinn. Der Bruder sah prächtig aus, fand Benito. Er war nicht groß, Benito war ihm sogar über den Kopf gewachsen, aber er war kräftig und sehnig, und die rote Faja um die Hüften stand ihm so gut wie der Schnurrbart, der seine Männlichkeit herausstrich. Ob er ein Mädchen hat?, durchfuhr es Benito. Sie würden weit zu gehen haben, bis in die Vorstadt, in der ihre Familie hauste, und er wünschte, er würde unterwegs den Mut aufbringen, den Bruder darauf anzusprechen.
    Natürlich brachte er den Mut nicht auf. Statt über Mädchen redeten sie über das Elend im Land. Benito, der wissen wollte, ob es seiner Mutter besserging, erhielt zur Antwort: »Wie soll es ihr bessergehen? In einer Hütte mit Lehmbewurf ist es immer feucht, und eine Frau mit schwachen Lungen holt sich den Tod. Deshalb lassen sie uns ja in solchen Hütten hausen, damit wir uns den Tod holen und sie uns von dem Kuchen, den sie sich geschnappt haben, nichts abgeben müssen.«
    Benito fragte nichts mehr. Es machte ihn stolz, dass sein Bruder, der so wichtig für den Kampf des mexikanischen Volkes war, ihn ins Vertrauen zog, doch zugleich erfüllten ihn solche Gespräche mit Hilflosigkeit. Miguel redete weiter. Er empörte sich darüber, dass die Nahua und die übrigen Ureinwohner, denen das Land doch gehörte, ihre Regierung nicht wählen durften und dass sie Steuern zahlen mussten, bis ihnen zum Überleben keine Krumen mehr blieben. Auf die Zentralisten schimpfte er, die in der Hauptstadt selbstherrlich Entscheidungen fällten, ohne sich darum zu scheren, ob das Volk in allen Landesteilen Hunger litt.
    »Aber die Regierung kann doch nichts dafür, dass wir so wenig schiffbare Flüsse haben«, wagte Benito noch einmal einen Einwand. Er hatte im Haus der Lutenburgs aufgeschnappt, der Handel in Mexiko komme so schlecht auf die Beine, weil sich Waren kaum verschiffen ließen und Händler auf Maultiere angewiesen waren. Aus dem Augenwinkel spähte Benito nach dem Bruder. Hatte er ihn beeindruckt, oder hatte er sich lächerlich gemacht?
    Miguel blieb stehen. »Sehr schlau«, versetzte er spöttisch. »Und wer bitte schön hat dir den Unsinn vorgeschwatzt? Dein deutscher Sklaventreiber, versteht der vielleicht mehr von Mexiko als wir? Nun, wenn ihr beide so schlau seid, dann kannst du mir sicher erklären, wozu wir schiffbare Flüsse überhaupt brauchen? Wem nützen die denn? Vielleicht deiner kranken Mutter? Hat die Waren zu verschiffen? Aber nicht doch! Deinem Deutschen nützen sie, ihm und den anderen ausländischen Geldsäcken, die die Zentralisten ins Land holen, als hätte Mexiko kein eigenes Volk.«
    Benito wusste, wie sehr seine Mutter fürchtete, die Stadtwache könnte Miguel seiner Reden wegen als

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