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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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gefletscht, wenn der Name Napoleon auch nur geflüstert wurde?«
    Für die Nichte eines Generalstabsoffiziers war sie bedauerlich schlecht informiert, aber darin waren alle Frauen gleich. »Das ist doch Jahre her, Ildi«, schalt ihr Bruder sie liebevoll. »Damals war Napoleon unser Kriegsgegner. Heute dagegen erweist sein Heer allen zivilisierten Völkern Europas einen heroischen Dienst.«
    Valentin war froh, dass Gabor das Reden übernahm, denn in ihm war eine Stille, die er nicht zu durchbrechen wünschte. Eine heilige Stille. Ein neues Zeitalter brach an, und er war dort, wo es sein Morgenrot erlebte.
    »Soso«, bemerkte Ildiko. »Und was, wenn’s gestattet ist, schert das uns? Mexiko – ist das nicht eins dieser riesenhaften Länder voll ekligem Getier und behaarter Wilder?«
    »Was uns das schert, will sie wissen!«, rief Gabor und lachte, dass es über den Platz schallte. »Sag du es ihr, Vally, sag ihr, was uns das schert.«
    Wie oft berührte Valentin der Überschwang des Ungarn peinlich, und gerade jetzt schien er der Würde des Augenblicks nicht angemessen. Seine eigene Stimme war schwer und enthielt von der heiligen Stille noch einen Rest. »Der Sieg der Franzosen bedeutet, dass Anarchie und Chaos für Mexiko zu Ende gehen«, sagte er. »Das glücklose Volk, das du so abschätzig Wilde nennst, ist von der Tyrannei einer infamen Regierung befreit und blickt einem neuen Morgen entgegen. Dieses reiche, fruchtbare Land wird zu einer Blüte gelangen, vor der die Welt den Atem anhält.«
    »Muss ich verstehen, was du redest, Vally?«, fragte Ildiko.
    »Nein«, erwiderte Valentin und stürmte in Richtung der Wagen los. »Es genügt, wenn du das eine begreifst: Der Sieg der Franzosen bedeutet, unser Erzherzog, Maximilian von Habsburg, wird Kaiser von Mexiko.«

33
    Weder Martina noch Katharina hatten zur Weihnacht des Jahres 1862 ihren Eltern von ihren Heiratsplänen erzählt. Der Krieg gegen die Franzosen hatte jäh an Schrecken und Gewalt gewonnen, und im Dezember tauschte Martina ihre Krinolinenkleider gegen eine aus Männerhosen geschneiderte Uniform und zog als Ärztin ins Feld. »Es kommt mir nicht richtig vor, jetzt Verlobung zu feiern«, hatte Katharina zu Stefan gesagt. »Lass es uns wie geplant mit Martina zusammen tun, wenn wieder Frieden herrscht.«
    »Wie du willst«, hatte er erwidert. »Ich hoffe nur, es dauert nicht mehr allzu lange mit dem Frieden, denn jünger werden wir ja nicht.«
    In den Monaten, die folgten, hatte Katharina sich manchmal gefragt, warum er nicht darauf bestand, dass sie ihre alberne Idee, auf Martina zu warten, verwarf und ihn mit ihrem Vater sprechen ließ. Martina traf in der Zwischenzeit ihren schönen Guerillaoffizier wieder, behandelte seine Wunden und erwies ihm vermutlich noch manch anderen Dienst, denn als sie auf ein paar Tage Erholung in ihr Palais zurückkehrte, zweifelte sie an der ganzen Heiratsidee.
    Unter den duftenden Bäumen der Alameda gingen die beiden Frauen spazieren. Martina sah erschöpft aus, beinahe grau im Gesicht. »Wenn man dieses Leid sieht«, sagte sie, »die verbrannten Dörfer, die Witwen, die Toten, dann will man es sofort tun – heiraten, Kinder bekommen, für neues Leben sorgen. Aber dann wieder frage ich mich, ob ich dafür überhaupt geboren bin, ob ich lernen kann, treu und sesshaft zu werden, oder ob ich meinen Mann ins Unglück stürzen würde.«
    »Warum heiratest du eigentlich nicht deinen Offizier?«, fragte Katharina nicht ohne Spott.
    Martina lachte. »Kluge Frage! Weil ich ihn nicht mit Haut und Haar besitzen und zwingen kann, nach mir toll zu sein. Weil er es mit der Treue noch weniger genau nimmt als ich. Weil er nicht für mich gedacht ist, Kathi. Den, der für mich gedacht ist, den kenne ich, und vielleicht sollte ich einfach alle Bedenken über Bord werfen und ihm mein Jawort geben, denn wer weiß, wie viel Zeit uns allen bleibt.«
    »Ja, vielleicht solltest du das«, murmelte Katharina, fasziniert von der Gewissheit der Freundin. War Stefan für sie gedacht? Sie verstanden sich, übten mit Leidenschaft denselben Beruf aus und dachten über vieles gleich. Es gab nur zwei Dinge, die sie sich mit Stefan nicht vorstellen konnte, und auf beide verzichtete sie schon so lange, dass sie kaum noch für möglich hielt, sie einmal geliebt zu haben. Sie würden liebevolle Eltern sein, auch wenn es Katharina nie gelang, sich ein anderes Kind vorzustellen als Felice.
    »Und ihr?«, hörte sie wie befürchtet Martina fragen. »Du und

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