Im Land der gefiederten Schlange
Nähe empfand, war mehr als Bewunderung. Es war Liebe. Der Wunsch, für ihn durchs Feuer zu gehen.
Ildiko, die an seinem Arm hinaus in den sternenfunkelnden Sommerabend trat, war noch immer mit der Oper beschäftigt. »Musst du so unromantisch sein, Vally?«, fragte sie und gab ihm einen zärtlichen Nasenstüber. »Ein fesches Mannsbild wie du – sag bloß, du würdest nicht mit fliegenden Fahnen einer fremden Dame folgen, an die du dein stählernes Herz verlierst?«
»Gewiss nicht«, erwiderte Valentin firm. Zwar überlegte er schon, in welches Etablissement er sie führen sollte, um den Rest des Abends zu genießen, aber zugleich klärte er die Fronten. Er war verlobt. Der kleine Flirt half der Langeweile ab, doch vor allem ging es ihm um die Einladungen auf Schloss Miramar, die er dank Ildikos Bruder erhielt. Das war es, was er wollte. In Maximilians Nähe sein, wenn die entscheidende Nachricht eintraf und alles Banale sein Ende fand. Mit fliegenden Fahnen folgte er nur seinem Erzherzog. Ohne ihn wäre mein Leben leer und belanglos, aber was versteht davon ein niedliches Püppchen, das in einem Märchenschloss geboren worden ist?
Valentin reckte sich zu voller Größe und hielt nach seinem Fahrer Ausschau. Der Platz unter den Linden war übersät von Menschen, die im Licht der Gaslaternen Zeit vertrödelten. Triest, Österreichs Seehafen, war durchaus keine Stadt ohne Reize, doch ihre verschlafene Langsamkeit zerrte an Valentins Nerven. Ihm konnte nichts schnell genug gehen, eine Eigenschaft, die seine Untergebenen fürchteten, seine Befehlshaber schätzten und die Frauen in seinen Armen liebten. Ildiko, die schwer und rundlich an ihm hing, bildete da keine Ausnahme. »Was ist dir denn, mein Goldiger?«, flötete sie mit gespitzten Lippen, als sie spürte, wie sein Körper sich spannte. »Weißt du, wie du mir manchmal vorkommst? Wie deine Novara, die, wenn nur der Wind tüchtig pfeift, sich in ihre Ankerketten legt, dass man fürchtet, sie zerreißen.«
Einen so treffenden Vergleich hätte er Ildiko nicht zugetraut. Die Novara war die Schraubenfregatte, auf die er versetzt worden war, das Lieblingsschiff seines Erzherzogs, das eine Weltumsegelung hinter sich hatte, nach Maximilians Wünschen umgebaut worden war und jetzt im Hafen auf ihren Einsatz wartete. Das ewige Warten! Wie lange harrten sie beide – er und sein Schiff – schon darauf, dass etwas geschah? Kein vorhersehbares Ereignis wie seine Beförderung zum Leutnant, sondern eine Sensation. Gewiss hätte er nicht all die Zerstreuungen, die Frauen, Pferde und Spieltische, die ihm im Grunde nichts bedeuteten, gebraucht, hätte das quälende Warten nur endlich ein Ende gefunden.
»Ich suche den Johann, Schatzerl«, warf er Ildiko hin. »Dort drüben beim Brunnen hätte er warten sollen. Kannst du mir vielleicht sagen, was der Kerl sich denkt?«
»Er wird sich erlaubt haben, einen anderen Platz zu suchen«, erwiderte die schöne Ungarin spöttisch. »Damit dein andalusisches Rassepferdchen ihm im Gedränge nicht durchgeht.«
Damit traf sie ins Schwarze. Der feurige Andalusier, den er sich geleistet hatte, war für die engen Straßen von Triest so wenig geeignet wie für den schläfrigen Johann, sondern verlangte nach einem Land mit unerschlossenen Weiten.
»Vally!«, rief Ildiko und reckte sich wie er in die Höhe, was nichts nützte, da sie selbst mit Hütchen eine kleine Person blieb. »Den Johann kann ich zwar nirgends entdecken, aber schau mal da – der Gabor!«
Im selben Augenblick hatte Valentin ihn ebenfalls entdeckt, und im nächsten entdeckte Ildikos Bruder, Oberst Gabor Szomory, auch ihn. Er lehnte an seinem eleganten Coupé, stieß sich ab und schritt wie aus der Sehne geschnellt durch die Menge. »Valentin!« Ohne seine Schwester zu beachten, packte er den Kameraden bei den Schultern. In seinem Gesicht glänzten rote Flecken. »Du musst sofort mit mir kommen. Auf Miramar gibt’s eine Feierstunde. Wie ich dich kenne, willst du da nicht fehlen!«
Valentins Herz begann mit ungeahnter Kraft zu pumpen. Das Warten hatte ein Ende.
»Ja, jetzt red doch, Gabor.« Ildiko versetzte ihrem Bruder einen Rippenstoß. »Was bei Maria und Josef ist denn los, dass du so schnaufst?«
»Was los ist?«, rief der Ungar, dass die Bummler stehen blieben und die Ohren spitzten. »Louis Napoleons Männer haben den Sieg davongetragen. Die französische Fahne weht über Mexiko-Stadt.«
»Louis Napoleon? Ja, habt ihr nicht vor kurzem noch die Zähne
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