Im Land der gefiederten Schlange
noch kein Paar gebildet, doch am anderen Ende des Saals erhob sich der Vater einer Schülerin und steuerte auf sie zu. Auf einmal wollte sie nichts mehr, nur Habanera tanzen. Ehe er sie auffordern konnte, rief eine der Frauen, deren Komitee die Tanztees veranstaltete: »Aufhören! Das wollen wir hier nicht.« Die Musik verstummte.
Stefan stand ebenfalls auf. »Tut mir leid«, murmelte er.
Katharina, die in den Muskeln der Waden noch immer ein Zucken verspürte, ließ die Arme sinken. »Macht nichts. Gehen wir nach Hause? Ich weiß ohnehin nicht, warum wir immer herkommen, obwohl uns doch beiden nichts am Tanzen liegt.«
Sie trafen in der Burg ein, als das Drama dort seinen Höhepunkt erreichte. Vielleicht entbehrten solche Dramen nie einer Spur von Komik, und vielleicht war die Komik daran zugleich das Traurigste. Im rechten Vorderzimmer, das sowohl die Lutenburgs als auch Onkel Christophs Familie als Wohnraum nutzten, stand Katharinas Mutter. Sie hatte das mächtige Bett, in dem sie ihr Eheleben verbracht hatte, in Teile zerlegt und allein herübergeschleppt, weil einer der Franzosen ihre Schlafstube für sich beanspruchte. Am Ende ihrer Kräfte, starrte sie auf die Teile, die sich nicht wieder zusammenfügen ließen. Katharinas Vater lehnte neben der Tür und starrte so hilflos auf seine Frau wie jene auf ihr zerfallenes Bett.
Vermutlich hatten die beiden schon so dagestanden, als Traude mit Helene aus dem anderen Flügel herbeigestürmt war und zu schreien begonnen hatte wie alle Furien der Hölle. Man bezichtige sie des Diebstahls, ihr Sohn lasse sie wieder einmal im Stich, und somit sei es an Marthe, den infamen Ankläger in die Schranken zu weisen. Wie üblich verlieh Helene den Worten ihrer Mutter ein Echo, und wie üblich klebten sowohl Hanne und Grete als auch Sigmund an ihr, als hätte sie nicht zwei, sondern drei Kinder. Hermann ließ nicht lange auf sich warten, sondern drängte samt Fiete, Juliane und Hille in den Raum. Nach wie vor bestand Fiete darauf, seine Mutter überallhin mitzunehmen. Da er sie aber selbst nicht mehr schleppen konnte und Dörte seit dem Unglück schlecht zu Fuß war, lud man sie kurzerhand Juliane auf.
Juliane gehörte zu den bedauernswerten Frauen, die äußerlich stark wie Ochsen erscheinen, im Inneren aber die Seele einer Mimose bergen. Mit der Alten auf dem Rücken schien sie fortan zu einem Doppelwesen verwachsen, dessen Anblick zum Lachen reizte, auch wenn der Trägerin die Tränen in den Augen standen. Heute jammerte sie, sie habe in der Nacht La Llorona gehört, wieder einmal habe das grausige Geheul sie um dringend benötigten Schlaf gebracht. »Manchmal glaube ich schon, ich bin selbst dieses arme Geschöpf! Wer als ich hätte schließlich so viel Grund, um seine verlorenen Kindchen zu weinen?«
Soweit Katharina wusste, hatte Juliane nie ein Kind geboren, aber hatte sie nicht trotzdem recht? Sie mochte um die erträumten Kinder weinen, die ihr vielleicht den Respekt ihres Mannes eingetragen hätten. Niemand schenkte ihrer Klage Beachtung, sie waren alle in Streit um den vermeintlichen Diebstahl vertieft. Hermann versetzte seiner Frau sogar einen derben Klaps auf den Hintern und fuhr sie an: »Gib Ruhe, du Plage.« Hätte er eine Gerte benutzt, hätte man annehmen können, er schlage einen Gaul.
Stefan zuckte zusammen, und Katharina verspürte eine Woge Wärme. Sie ergriff seine Hand. Er war ein feiner Mann, einer, der litt, wenn eine Frau gedemütigt wurde, auch wenn ihm der Mut, dagegen anzugehen, fehlte. »Ich habe nicht dich beschuldigt«, schrie Hermann jetzt Traude an, »ich beschuldige überhaupt keine Frauen, in meinem Geschäft haben Frauen nichts zu suchen. Dieses Geld geht nur Sigmund und mich etwas an, auch wenn er es für dich entwendet hat!«
Traude brüllte Katharinas Mutter an, sie solle gefälligst ein Urteil sprechen, und Helene packte ihren Mann und schüttelte ihn. »Du mach deinen Mund auf, oder willst du auf dir sitzenlassen, dass man dich einen Dieb schimpft, so wie du die Franzosen in unser Haus gelassen hast?«
»Ich habe ja von nichts eine Ahnung«, erwiderte Sigmund weinerlich. »Ich dachte, das Geld sei dem Lieferanten gezahlt worden, ich hatte mit dem Geld nichts zu tun. Ich weiß, dass Christoph es übernommen hatte …«
»Zum Teufel, seid still!«, schrie Katharinas Mutter und presste sich die Hände auf die Ohren. »Seid nur einmal in eurem gottverfluchten Leben still!«
Während die Mutter Atem holte, ertönte lautes Klirren
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