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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Mädchens gewünscht, aber sie wusste, dass derlei ihrer Patentochter nicht gegeben war. Die schmächtige Felice besaß das Herz einer Löwin, und nur zu gern hätte Katharina sie gefragt, wie sie auf das, was sie über die Regierung gesagt hatte, gekommen war.
    Stattdessen würde sie ihr noch strenger einschärfen müssen, nichts dergleichen mehr öffentlich auszusprechen. Die Häscher der Besatzungsmacht schreckten nicht davor zurück, auch Frauen und Kinder zu verhaften, die sich ihnen widersetzten. Gerade deshalb hatte sie geplant, ihre Klasse in die Alameda zu führen, wo ein französisches Militärorchester für Spaziergänger aufspielte. Sie wollte den Besatzern eine fröhliche Gruppe europäischer Mädchen zeigen, die über jeden Verdacht erhaben war.
    Eine Schülerin der Klasse war noch unbeliebter als Felice. Gesine, eine Mestizin wie Martina, die jedoch weder über Martinas Ausstrahlung noch über das väterliche Vermögen verfügte, das die Tochter vor Erniedrigungen schützte. Gesines Vater hielt sich mehr recht und schlecht über Wasser, und das Mädchen hatte grausame Quälereien auszustehen. Einmal hatte sie tränenüberströmt in einer Ecke des Klassenraums gehockt und sich standhaft geweigert, preiszugeben, wer ihr die pechschwarzen Zöpfe abgeschnitten hatte. Gesine machte in der Klasse kaum je den Mund auf. Jetzt aber platzte sie, ohne den Finger zu heben, heraus: »Der Kaiser sieht wunderschön aus! Wie Quetzalcoatl.«
    Der Name des Gottes, wenn er auf Nahua-Weise ausgesprochen wurde, ging Katharina durch und durch. Einst hatte sie sich gewünscht, die Sprache zu lernen, aber dazu gekommen war sie nie. »Warum sagst du das?«, fragte sie Gesine so behutsam wie möglich.
    »Er ist groß und stark und hat goldene Haare«, erwiderte das Mädchen eifrig. »Und vielleicht stimmt es ja doch, dass Quetzalcoatl wiederkommt, sich an den bösen Menschen rächt und macht, dass alle Guten reich und glücklich sind.«
    Das Gekicher schwoll von neuem an, und Katharina hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. »Das müssen wir selbst machen«, vernahm sie Felices Stimme. »Dabei hilft uns kein Kaiser und schon gar kein Gott.«
    »Schluss damit!«, rief Katharina. »Holt eure Hefte heraus, löst eure Aufgaben, und dabei will ich keinen Mucks mehr hören.« In ihren Jahren als Lehrerin hatte sie sich selten so hilflos gefühlt.
     
    »Ich glaube, es ist keine gute Zeit zum Heiraten«, sagte sie am Abend zu Stefan, als sie beim Tanztee im kleinen Saal des Deutschen Hauses saßen. Sie gingen oft zu diesen Tanztees, auch wenn sie nie tanzten. Es war eines von zwei Dingen, die sie sich mit Stefan nicht vorstellen konnte.
    »Ich will dich nicht drängen«, erwiderte er, einen Satz, den sie unzählige Male von ihm gehört haben musste. Ein wenig klang er dabei wie Juliane, Hermanns Frau, die zwar weinerlich über alles klagte, aber nie gegen etwas Widerspruch einlegte.
    »Hättest du es denn jetzt gern getan?«, versuchte sie ihn zu reizen, als ritte sie der Teufel, derweil die Tanzkapelle ihren schläfrigsten Rheinländer spielte.
    »Um mich geht es doch nicht«, erwiderte Stefan friedfertig. »Ich dachte eher an unsere Eltern. Im Geschäft gab es heute wieder Wirbel. Wir sind auf einem kompletten Posten Schürzen sitzengeblieben, weil uns die mexikanischen Kunden weglaufen. Außerdem fehlt irgendwelches Geld, das Claudius von Schweinitz im letzten Jahr einbezahlt hat und für das die Ware nie geliefert wurde. Hermann verdächtigt Sigmund, weil Helene und meine Mutter nie mit ihrem Geld auskommen. Und als wäre das nicht genug, sind heute Nachmittag zwei französische Offiziere in der Burg einquartiert worden. Natürlich hätten wir längst damit rechnen müssen, aber unsere Mütter sind außer sich.«
    »Stefan«, sagte Katharina, sobald er verstummte, »haben all diese Greuelnachrichten, die du mir aufgezählt hast, etwas mit unserer Hochzeit zu tun?«
    Er hätte zurückfragen können, was Martina und ihre Probleme mit ihrer Hochzeit zu tun hatten, aber er zuckte mit den Schultern. »Ich dachte eben, die Alten könnten eine gute Nachricht brauchen.«
    Die Musik wechselte abrupt. Aus dem behäbigen Rheinländer erwuchsen sinnliche, schwingende Klänge, für die das Orchester nicht richtig besetzt war. Wie von selbst sprang Katharina auf. Es war keine Musik, um sitzen zu bleiben, sondern eine, deren laszive Bögen sie wie mit Armen umschlangen und deren Rhythmus in die Knochen ging. Auf der Tanzfläche hatte sich

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