Im Land der gefiederten Schlange
Stefan, wie steht es bei euch?«
»Wir fanden es nicht richtig, dich zu meiner Brautjungfer zu machen, da ich doch deine sein sollte.«
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Mit seltenem Ernst sah Martina sie an. »Hör zu, wenn du irgendwo einen glutäugigen Herzensbrecher versteckt hast, wenn du ein böses Mädchen warst wie ich, kann ich dir alle Zweifel nachfühlen. Wenn du aber nichts als diesen lächerlichen Grund ins Feld zu führen hast, dann bestellt morgen euer Aufgebot. Himmel, Kathi, da draußen sterben Frauen in Scharen die Männer weg, dieser Krieg hat noch lange kein Ende, und ihr beide hockt geborgen in der Austernschale und nutzt euer Glück nicht aus? Wenn es am Geld fehlt, vergiss es. Ich erlaube mir, meinen Freunden die Hochzeit auszurichten, ob es euch passt oder nicht. Und ich sage euch, auf dieser Hochzeit werden Champagner und Tequila ineinanderfließen, denn wo der Tod herrscht, muss man die Liebe feiern.«
Spontan schloss Katharina die Freundin in die Arme. Ihr Mangel an Takt ließ Martina zuweilen jünger erscheinen, als sie war, aber sie hatte die tiefe Menschlichkeit ihrer Eltern geerbt, und was ihr jetzt noch fehlte, würde ihr Leben sie lehren. »Der Mann, der dich bekommt, ist ein Glückspilz«, sagte sie. »Und der, der nicht mit Haut und Haaren nach dir toll ist, ist ein Idiot.«
Martina lachte. »Ein Idiot ist vor allem dein Stefan, wenn er dich nicht vor den Altar schleift. Richte ihm das von mir aus.«
»Ich werde es tun«, entgegnete Katharina und war allen Ernstes dazu entschlossen.
Dann aber hatten die Franzosen Puebla eingenommen, die Regierung Juárez war aus dem Palacio Nacional ausgezogen und nach Norden geflohen, und Tage später war die französische Armee in die Hauptstadt einmarschiert. Eine Interimsregierung unter dem konservativen Santanista-General Almonte wurde ebenso ernannt wie eine Versammlung von Notabeln, die die Errichtung einer Monarchie auf mexikanischem Boden beschloss. Dass keine dieser eiligst geschaffenen Körperschaften zu solchen Beschlüssen die Befugnis besaß, dass aus dem In- und Ausland Proteste eintrafen und dass Juárez noch immer der gewählte Präsident Mexikos war, spielte für die selbsternannten Herren keine Rolle. Auf öffentlichen Plätzen wurde die Fotografie eines Mannes mit heller Haut, blondem Haar und prächtigem Bart angeschlagen, der, so aberwitzig es klang, den Titel Maximilian I., Kaiser von Mexiko trug.
»Wenn er herkommt, erschießen wir ihn!«, schmetterte Felice in den Klassenraum, während Katharina sich bemühte, den Mädchen die Zusammenhänge zu erklären. Als sie das betretene Schweigen um sich bemerkte, fügte Felice trotzig hinzu: »Was habt ihr denn? So ist es nun einmal in Mexiko – wer bei uns den Kaiser geben will, den erschießen wir.«
Damit spielte sie auf Agustin Iturbide an, der kurz nach der Unabhängigkeitserklärung als Kaiser über Mexiko geherrscht hatte, gestürzt und zum Tode verurteilt worden war. Immerhin hatte sie in den Lektionen in mexikanischer Geschichte, auf die die meisten Mädchen keinen Wert legten, aufgepasst.
»Felice muss Schläge kriegen«, forderte Helenes Tochter Hanne altklug. »Ein Dutzend Schläge mit dem Rohrstock, so wird es in richtigen Schulen gemacht.«
Erregt begannen alle Mädchen durcheinanderzuschwatzen. »Und wenn ich Schläge kriege, habe ich immer noch recht!«, rief Felice tollkühn über sämtliche Stimmen hinweg. »Mexiko braucht keinen Kaiser! Es braucht seinen Präsidenten, der vor der Not nicht die Augen verschließt, und Menschen, die aufbegehren, wenn Unrecht geschieht.«
»Ruhe!«, brüllte Katharina. »Setzt euch wieder auf eure Plätze, oder ich jage euch im Dauerlauf ums Haus. Hier bekommt niemand Schläge dafür, dass er seine Gedanken ausspricht, auch nicht, wenn die Gedanken dumm sind, denn solange er sie für sich behält, kann ihn niemand korrigieren. Eine Strafe hast du allerdings verdient, Felice. Von unserem Ausflug in die Alameda morgen wirst du ausgeschlossen, damit du lernst, nicht leichtfertig vom Erschießen von Menschen zu schwatzen.«
»Da wollte ich sowieso nicht hin!« Der gekränkte Blick des Mädchens ging ihr bis ins Mark, und das hämische Kichern der Kameradinnen machte es nicht besser. Sie alle wussten, dass Felice der Liebling ihrer Lehrerin war, was ihrer Beliebtheit so wenig aufhalf wie ihr eigensinniges, kompromissloses Wesen. Katharina hätte ihr Scharen von Freundinnen und die Unbefangenheit eines jungen
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