Im Land der gefiederten Schlange
Arbeit. »Dass du mir nicht zur Verlobung gratuliert hast? Schwamm drüber. Wenn wir keine anderen Sorgen haben, sind wir zwei ziemliche Glückspilze.«
Stefan hatte gemeint, ihm tue leid, dass er ihm lästig falle, aber das spielte keine Rolle. Bei einem wie mir ist es egal, was die Leute verstehen – mir tut alles und jedes leid.
»Wie geht es denn zu Hause?«, fragte Felix im Weitermalen. »Alles wohlauf? Ist mein Vater auf seiner Kiste inzwischen zum Standbild erstarrt wie Großmutter Hille auf dem Thron?«
Jetzt hätte Stefan anführen können, dass er gekommen war, weil seine Mutter krank war, doch stattdessen nickte er. »Ja, sie sind alle wohlauf.«
»Und worüber zerreißen sie sich die Mäuler? Darüber, dass ich ohne Trauschein mit einer Halbwilden lebe und mich von ihr aushalten lasse? Darüber, dass sie Martinas Eltern trotzdem nicht das Deutsche Haus verbieten können, weil das Deutsche Haus sonst bankrott wäre, oder darüber, dass Kathi bei uns wohnt?«
»Über Kathi«, antwortete Stefan wahrheitsgemäß, denn die Namen Felix und Martina gehörten in der Hartmann-Burg zu den verbotenen Worten. »Aber sie zerreißen sich nicht die Mäuler, sie haben Sehnsucht, und sie machen sich Sorgen.«
»Ich verstehe«, behauptete Felix. »Und du bist sozusagen der Abgesandte der Sorgenmacher, der sicherstellen soll, dass wir Kathi nicht mit Amarant füttern oder sie der gefiederten Schlange opfern? Wen willst du eigentlich sprechen, Kathi oder Martina?«
»Benito Alvarez«, entfuhr es Stefan.
Felix ließ erneut den Pinsel sinken. »Dass hier reihenweise Frauen aufkreuzen, die Benito anschmachten, bin ich ja gewohnt – aber Männer?«
Stefan spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg.
»Nicht beleidigt sein!« Felix hob die Hände. »Es war nur einer meiner dummen Witze. Ich fürchte, das zweifelhafte Talent habe ich von meinem Vater geerbt.«
Und wie dein Vater trittst du zielsicher in den Napf mit Fett, dachte Stefan. Felix sah ihn noch immer an und wartete auf eine Erwiderung. Als Kind hatte er diesen Jungen auf seinen Schultern reiten lassen, und jetzt erschien er ihm so viel erwachsener als er. »Ich hatte gehofft, ich könnte Kathi sehen«, murmelte er. »Aber da du sagst, das ist schwierig, würde ich gern Martina sprechen, wenn du nichts dagegen hast.«
Felix lachte, aber es klang nicht mehr heiter. »Was sollte ich dagegen haben, dass du Martina sprichst? Viel mehr interessiert mich, warum du mir erzählst, es gehe dir um Benito.«
»Weil …«, begann Stefan, rieb sich die Stirn und setzte noch einmal an: »Felix, kann ich dich etwas fragen?«
»Warum versuchst du’s nicht einfach? Martina müsste demnächst nach Hause kommen, aber weshalb sollten wir in der Zwischenzeit nicht so tun, als wären wir Vettern und hätten uns einmal gemocht?«
»Ich mag dich immer noch. Auch wenn ich wohl nie die Kraft aufbringe, über den Riesenschatten meiner Feigheit zu springen.«
Felix legte den Pinsel auf das Abtropfbrett. Auf dem Klapptisch stand ein Krug mit Zitronenwasser. Daraus füllte er zwei Gläser, reichte eines Stefan und setzte sich zu ihm. »War vermutlich nicht einfach, Tante Traudes ganzer Stolz zu sein«, bemerkte er. »Jetzt nimm den Frosch aus dem Hals und stell deine Frage. Ich bin Künstler – mir liegt Neugier im Blut.«
Dankbar trank Stefan, dem die Kehle vor Trockenheit brannte. »Wenn du jemandem ein Unrecht getan hast«, begann er, »ein schier unaussprechliches Unrecht, und wenn du ihn irgendwann wiedertriffst, was würdest du dann tun?«
»Mich entschuldigen?«, schlug Felix vor.
»Aber wenn es viele Jahre her ist, und wenn etwas zerstört worden ist, das sich ohnehin nicht gutmachen lässt – entschuldigst du dich dann auch? Oder lässt du die Wunde, über die ja längst Gras gewachsen ist, lieber unberührt?«
»Martina würde dir jetzt erklären, dass über Wunden kein Gras wächst«, erwiderte Felix. »Es sei denn, der Mensch ist tot. Und so, wie dir die Hände zittern, kann von Graswachsen wohl kaum die Rede sein.«
»Ich bin nicht der Verletzte«, murmelte Stefan.
»Nein«, bekundete Felix, »der Verletzte ist Benito, so viel habe ich mir aus deinem Gestammel zusammengereimt. Und wenn du dich bei dem für irgendwas entschuldigen willst, rate ich dir: Tu’s. Benito mag ein bisschen überlebensgroß erscheinen, aber er ist ein Kerl zum Pferdestehlen, und vermutlich hat er das Zeug, über das du dir den Kopf zerbrichst, längst vergessen.«
»Ja,
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