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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Ruf pflanzte sich fort. »Töte den Stier!«
    Der Matador vermochte den Stier zu lesen, vorauszuahnen, dass er aufs Neue im Galopp den kleinen Schwenk vollziehen würde, der vorhin das Pferd das Leben gekostet hatte. Er beging keine feige Täuschung, spielte dem Publikum keine Gefahr vor, die nicht bestand, sondern blieb stehen, bis die tödlichen Hörner für den Bruchteil eines Herzschlags auf seinen Leib gerichtet waren. Erst dann schwang er zur Seite, vollführte die kleinste Bewegung, die nötig war, um den Hörnern zu entkommen. Vollendeter konnten Tod und Schönheit keinen Tanz eingehen. Wenn der Mann dabei stirbt, dann hat er wenigstens gelebt!
    Katharina sprang auf. Wie aus Marmor geschaffen stand sie vor ihm, und der Abendwind spielte mit ihrem Haar. Gebannt sah sie in die Arena hinunter, wo der Stier von neuem angriff. Valentin stand ebenfalls auf und drehte ihr Gesicht zu sich. »Das darf nicht sein!«, kam es von ihren Lippen – ein zum Flüstern gewordener Schrei. »Es darf nicht so schön sein zu töten.«
    »Doch«, flüsterte er zurück und vergaß, dass um ihn Menschen waren, dass er von dieser Frau nichts wusste und dass er sie noch gestern nicht gekannt hatte. »Nur Tod und Liebe zusammen sind so schön. Mit keinem kann ich das teilen. Nur mit dir.«
    Ihre Blicke umfingen einander, als wären sie allein. Dann wandten beide die Köpfe wieder nach der Arena und sahen zu, wie der Stier die verbleibende Kraft für einen letzten Angriff sammelte. Der Matador sah, dass es das Ende war, und sein Respekt für den Gegner verbot ihm, es hinauszuzögern. Bei den letzten Sprüngen zog er den Estoque, brachte mit einer Drehung im Takt der Musik den kleinstmöglichen Abstand zwischen sich und den Stier und stieß ihm von oben die Klinge zwischen die Schultern.
    Die Bewegung des Tiers erlahmte, der schwere Kopf warf sich noch einmal auf, und es lag viel mehr Wehmut als Schmerz darin. Dann knickten ihm die Vorderbeine ein, als würde er sich vor seinem Bezwinger verneigen, der mächtige Körper fiel zur Seite und überließ sich dem Tod. Die Zuschauer sprangen von den Sitzen und brachen in orkanhaften Applaus aus.
    Den Rest des Spektakels, die Maultiere, die vor den Leichnam des Stiers gespannt wurden, um ihn durch die Arena zu schleifen, und die Ehrenrunde, die der Matador an der Barriere abging, erlebte Valentin wie im Taumel. Sie waren noch auf ein Essen mit dem Kaiser geladen, und in fliegender Hast beschwor er einen Kameraden, ihn dort zu entschuldigen. Der Kamerad lachte. »Der Kaiser wird’s schon verstehen – wenn’s um Weiberröcke geht, entschuldigt er sich doch selbst ganz gern.«
    Valentin musste an sich halten, um ihn nicht zu schlagen.
    Ihrem mexikanischen Begleiter befahl er, ihm ein Quartier zu besorgen, das nicht von Insekten wimmelte und in das er eine Dame bringen durfte, aber die Verständigung scheiterte am schlechten Deutsch des Mannes und an der Notwendigkeit, die Dinge gesittet zu umschreiben. Stattdessen verstand ihn Katharina. »Wir können im Haus meiner Freundin bleiben«, sagte sie und nannte seinem Kutscher noch einmal die Adresse.
    Die Liebe, die sie in dieser Nacht erlebten, ließ Valentin glauben, er habe zuvor nie geliebt. Mit den anderen war er ein Kind gewesen, ein dummer Bub, der nicht wusste, was er tat. Liebe mit Katharina war wie Stierkampf. Ernst und schön und voller Gefahr. Es blieben Narben zurück, und man konnte dabei sterben, aber wenn man es tat, so hatte man wenigstens gelebt.

42
    Stefan schämte sich. Wenn er einmal nüchtern Bilanz zog, so hatte er sich während des längsten Teils seines Lebens geschämt. Martinas Hausmädchen hatte ihn eingelassen, und jetzt wartete er in dem beinahe leeren Raum, dessen Wände Felix mit Motiven der mexikanischen Geschichte bemalte. Die linke Seite mit dem Gott Quetzalcoatl, der sich aus dem Maul der Schlange befreite und ins Licht des Morgensterns flog, war bereits fertig. Derzeit war Felix auf der rechten mit dem riesenhaften Antlitz einer Frau beschäftigt, an deren Zöpfen sich etliche Gestalten in die Höhe zogen. Bilder wie die von Felix hatte Stefan noch nie gesehen. Sie waren wuchtig, prallten mit der Gewalt ihrer Farben auf den Betrachter ein und hätten nicht nur ihrer Größe wegen jeden Rahmen gesprengt.
    »Es tut mir leid«, murmelte Stefan, als er das Schweigen nicht länger ertrug. Auch dieser Satz hatte ihn fraglos den längsten Teil seines Lebens begleitet.
    »Was tut dir leid?« Felix unterbrach die

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