Im Land der gefiederten Schlange
vermutlich, aber … Felix, weißt du wirklich nicht, wer Benito Alvarez ist?«
»Doch«, sagte Felix. »Das weiß ich. Aber da ich nicht weiß, was du weißt, wäre es mir lieber, wir würden darüber nicht sprechen. Martinas Vertrauensseligkeit bereitet mir schlaflose Nächte genug.«
»Das meine ich nicht«, entgegnete Stefan hastig. »Ich wollte sagen, ich meine nicht das, was er politisch tut. Das geht mich nichts an, und wenn Martina davon spricht, höre ich nicht hin. Benito war Onkel Peters Pferdebursche. Du warst noch klein, vielleicht erinnerst du dich nicht – aber er war jahrelang bei uns.«
»Benito hat bei uns gewohnt? Er kannte uns als Kinder?« Felix hatte sichtlich Mühe, das Gehörte zu verkraften. »Was für ein Geheimniskrämer! Ich frage mich nur, ob Martina das gewusst hat.«
Er sollte sofort Gelegenheit erhalten, die Frage zu stellen. Die Tür wurde aufgestoßen, und mit einem abgewetzten Koffer beladen stürmte Martina herein. Sie ließ den Koffer fallen, warf die Mantilla ab und entblößte einen mit schwärzlichem Blut bespritzten Kittel. Felix fragte sie nicht nach Benito. Er rückte ihr einen Stuhl hin und gab ihr sein Wasserglas. »War’s schlimm?«
»Ziemlich.« Sie streckte die Beine von sich und sandte Stefan ein erschöpftes Grinsen. »Nett, dich zu sehen. Falls du allerdings zu Katharina wolltest, muss ich dich enttäuschen. Wir bekommen sie selbst seit Wochen kaum zu Gesicht.«
»Ja, das hat Felix erzählt. Sie sagt auch ständig ihren Unterricht ab, obwohl das ganz und gar nicht ihrer Art entspricht.«
»Damit wäre ich vorsichtig«, entgegnete Martina. »Dass sie es zehn Jahre lang nicht gemacht hat, muss nicht heißen, dass es nicht ihrer Art entspricht. Vielleicht hatte sie nur nie einen Grund.«
Stefan biss sich auf die Lippe. »Was meinst du damit?«
»Frag sie selbst«, erwiderte Martina kühl. »Und starr mich nicht an, als wäre ich die Anstandsdame, die auf sie hätte aufpassen müssen. Das wäre an dir gewesen, nicht an mir. Sosehr es mich zur Weißglut treibt, dass sie sich von dem Säbelrassler des Usurpators einwickeln lässt – verübeln kann ich es ihr nicht.«
»Martina!«, rief Felix, wandte sich zu Stefan und beteuerte hastig: »Sie meint es nicht so.«
»Und ob ich es so meine! Maximilian von Habsburg ist ein Usurpator, und wenn ich das in meinem Haus nicht mehr sagen darf, dann darfst du auch nicht Josefa Ortiz an meine Wände malen. Obwohl mir Stefan sicher gleich erklären wird, dass der Usurpator doch so viel Gutes für uns tut, dass er den Satan Marquez ins Ausland schickt, die Protestanten toleriert und im ganzen Land neue Eisenbahnen und Telegraphen baut.«
»Ist das denn nicht richtig?«, fragte Stefan, für einen Augenblick abgelenkt. Der Kampf, den er seit Wochen mit sich selbst ausfocht, hatte ihn gehindert, die Ereignisse im Land zu verfolgen. Aufgeschnappt hatte er nur, dass die französische Armee auch Querétaro und San Luis Potosí für den Kaiser eingenommen hatte, dass Juárez nach Chihuahua geflohen war und dass niemand mehr ernsthaft mit einem Ende des Kaiserreichs rechnete. Im Deutschen Haus war man dem katholischen Österreicher nach wie vor feindlich gesinnt, aber Stefan hatte auch sagen hören, dass alles besser sei als das ewige Kämpfen. »Braucht Mexiko denn nicht endlich Frieden?«, fragte er.
»In der Tat, den braucht es.« Ihre Augen blitzten ihn an. »Aber Frieden heißt nicht, dass einer von weit her in dieses Land marschiert und mit seinen Nagelstiefeln alles stumm tritt, was den Mund aufreißt. Das Zertretene wächst nach, Stefan. Es wird so lange nachwachsen, bis der Kerl sich die Stiefel durchgelaufen hat, und unter Stiefeltritten gedeiht kein Frieden.«
Felix wollte etwas sagen, gewiss Martina hindern, sich mit ihren Worten in Teufels Küche zu bringen, doch er kam nicht dazu, da es klopfte. Das Hausmädchen meldete noch einen Besucher, Martina stieß einen Schrei aus, und dann trat wie herbeibeschworen Benito Alvarez ins Zimmer. Es war merkwürdig, ihn in Fleisch und Blut zu sehen, im gutgeschnittenen Anzug, mit zurückgekämmtem Haar und dem Hut in der Hand. Es gab nur einen Mann, an den Stefan in den vergangenen fünfzehn Jahren häufiger gedacht hatte.
»Ich könnte behaupten, ich wollte euch nicht stören«, sagte er lächelnd. »Aber um ehrlich zu sein, genau das wollte ich.«
Martina sprang auf und fiel ihm um den Hals. »Ich dachte, du bist auf dem Weg nach Michoacán«, rief sie. »Ay Dios mio,
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