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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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halten und ihm kein Wiegenlied mehr singen durfte? Was hatte ihre Mutter empfunden? Das Dienstmädchen. Hat sie mich aufgegeben, ohne zu kämpfen? Hat sie sich nie gefragt, was aus mir geworden ist? Unwillkürlich fiel ihr Blick auf den Ring mit den blau schillernden Steinen. Valentin hatte sie gebeten, ihn abzuziehen, es sei eine unschöne Arbeit und passe nicht zu ihr, aber den einen Wunsch hatte sie ihm nicht gewährt.
    »Wie ich schon sagte«, plapperte die vollbusige Gattin vor sich hin, »es ist und bleibt ein fremdländisches Kind.«
    Seltsam, durchfuhr es Katharina, dass man ein Kind fremdländisch nannte in dem Land, in dem es zur Welt gekommen war. Auf einmal hielt sie die Enge in der Loge nicht mehr aus. »Ich gehe mir nur rasch die Nase pudern«, sagte sie zu Valentin. Mit Martina hatte sie darüber gelacht. Wenn Frauen etwas zu beschwatzen haben, muss die arme Puderquaste herhalten. Jetzt lief sie ohne Martina durch die Gänge und hatte niemanden, um etwas zu beschwatzen.
    Jede Menge Menschen waren auf den Fluren des Theaters unterwegs, suchten Bekannte, prüften Haar und Kleidung vor goldgerahmten Spiegeln oder strebten auf einen der Räume zu, in denen die Herren sich zum Rauchen zurückziehen konnten. An den Türen standen Namen von Gästen, die einen solchen Raum reserviert hatten.
Miguel López, Oberst, mexikanische Ulanen
las sie an der letzten der Türen, im hintersten Winkel des Gangs. Traf also hier der Oberst sich mit General Mendez?
    Um ein Haar hätte sie die Frau, die im Zwielicht hinter der Tür stand, nicht erkannt. Sie war kleiner als die übrigen Gäste, schwarz gekleidet, weder jung noch alt. Als sie den Mund öffnete, zeigte sich, dass ihr ein Schneidezahn fehlte. »Inez!«, rief Katharina verblüfft.
    Die Frau wandte sich ihr zu, äußerte jedoch kein Wort zum Gruß. Furcht ergriff Katharina. Wenn Inez hier war, mochten Martina und Felix nicht weit sein – und wenn Valentin sie mit den beiden sah, war der Abend verdorben. »Nett, Sie zu treffen«, murmelte sie hastig und wollte auf dem Absatz kehrtmachen. Ohnehin läutete gerade die Glocke, die zurück zur Vorstellung rief, und die Gäste begannen ihren Plätzen entgegenzuströmen.
    Inez verzog das Gesicht. Ihr Grinsen mit dem fehlenden Zahn glich einer Fratze – boshaft, lachhaft und traurig zugleich. »Du willst wissen, wer dadrinnen ist, was?«, fragte sie und wies mit dem Ellbogen auf die Tür.
    »Nicht doch«, erwiderte Katharina mit verkrampftem Lächeln. »Oberst López und General Mendez werden dort drinnen ihre Zigarren rauchen – das geht mich nichts an.«
    Inez ließ ein gurgelndes Lachen hören, dann schüttelte sie den Kopf. »Wart’s ab. Sieh selbst.« Die Glocke läutete zum zweiten Mal.
    Als sie zum dritten Mal läutete, stand Katharina noch immer wie gebannt vor der verschlossenen Tür. Der Gang hatte sich geleert, die beiden Frauen waren allein. Warum kam Oberst López nicht heraus? Die Türen der Logen wurden geschlossen und die Kerzen der Wandarme gelöscht. Im Saal würde die Musik beginnen, Valentin würde sich fragen, wo sie blieb, und der Abend, auf den sie sich so sehr gefreut hatte, würde im Streit enden. Sie spürte, dass Inez sie beobachtete, bemühte sich noch immer zu lächeln und kam sich einfältig vor.
    Hinter der Tür wurde das Scharren von Stuhlbeinen laut, es folgten Schritte, und wie ein schwarzer Blitz jagte Inez an ihr vorbei und durch den Gang. Als die Tür aufgezogen wurde, war sie bereits im Dunkel verschwunden.
    Katharina fuhr herum und fand sich einem hochgewachsenen Mann gegenüber. Aber der Mann war nicht Oberst López. Es war Benito Alvarez.
    Ehe sie ein Wort herausbrachte, legte er ihr den Finger auf die Lippen. »Katharina, um alles in der Welt, sag jetzt nichts.«
    Sie schwieg, starr vor Schreck. Hinter ihm drängten drei weitere Männer, sämtlich Weiße in Abendgarderobe, aus dem Rauchzimmer. Schnell und leise sprach Benito mit ihnen, dann entfernten sie sich durch den Gang.
    Benito blieb mit ihr allein. »Ich flehe dich an«, sagte er, »du bist keinem von uns hier begegnet.«
    Beschwörend grub sein Blick sich in ihren. Du scheinst mich zu brauchen, dachte sie. Und was hast du getan, als ich dich brauchte? »Du schuldest mir eine Erklärung«, presste sie heraus und vertrat ihm den Weg.
    »Ich weiß. Aber ich kann sie dir nicht geben.«
    »Nun, dann schlage ich vor, du kommst mit in meine Loge und gibst sie Oberst López, der sicher gern wüsste, was du in seinem

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