Im Land der gefiederten Schlange
Rauchzimmer treibst.«
»Katharina«, sagte er, »ich weiß, du bist mir nichts schuldig, und was ich von dir verlange, ist nicht recht. Ich bitte dich trotzdem: Lass mich gehen und vergiss, was du gesehen hast.«
Ich habe ja gar nichts gesehen, dachte sie, und dann glaubte sie den Sinn seiner Worte zu erfassen. Valentins panische Angst um seinen Kaiser fiel ihr ein und seine Worte in Martinas Garten: Wer sagt dir, dass mein Schwur mehr als einen Peso Mordgeld wert ist?
»Was tust du hier?«, schrie sie. »Bist du ein Attentäter, hast du deine Pistole im Gurt, um den Kaiser zu morden?«
Er presste ihr die Hand auf den Mund. Als sie sich wehrte, ließ er sofort los.
»Bitte schweig«, sagte er.
Sie starrte ihn an, ohne fassen zu können, was ihre Gedanken ihr zu verstehen geben wollten. Dieser Mann, der sie gehalten und gewiegt hatte, der sie die Liebe gelehrt hatte unter der brennenden Erde von Veracruz, war ein Mörder. Kein Soldat, der einen anderen im Zweikampf besiegte, sondern ein Verbrecher, der sich in ein Theater schlich, um einen Mann, der arglos der Musik lauschte, abzuschlachten. Valentin hatte recht. Der Mann, den sie geliebt hatte, war ein feiger Meuchler aus dem Hinterhalt. Sie sah auf seine Lippen, die sie unzählige Male geküsst hatte, auf die scharfe Narbe im Augenwinkel und in seine Augen, die ihr Liebeslieder gesungen hatten, so innig, dass ihr für alle Zeit etwas fehlte. »Ich verachte dich«, stieß sie Wort um Wort heraus. Als sie das Zucken in seinen Augen bemerkte, entfuhr ihr ein Laut des Triumphes.
»Ichtaca.«
»Sag das nie wieder zu mir!«, schrie sie in grenzenlosem Zorn. Was sollte sie tun? Sie konnte ihn nicht gehen und seine Untat ausführen lassen, das stand außer Frage. Sie musste Valentin holen, Männer der Garde, die ihn festnahmen.
»Ich dürfte kein Wort mit dir sprechen«, sagte er. »Ich benehme mich wie ein zum Himmel schreiender Idiot, aber ich vertraue dir. Wir tun nichts, das falsch ist, Katharina. Wir verlangen nur, dass das Volk selbst entscheiden darf und dass man es nicht belügt.«
»Es hat doch entschieden!«, rief Katharina. »Es hat den Kaiser gewählt.«
»Das hat es nicht. Die sogenannte Wahl war von Napoleons Leuten fingiert, die meisten Leute wussten nicht einmal, dass dieser Kaiser existiert. Ich will dich in keinen Zwiespalt bringen und dir nicht einreden, dein Valentin habe unrecht und ich habe recht, denn so ist es nie. Ich will nur, dass du mich gehen lässt und weißt: Wir alle tun, was wir tun, in gutem Glauben.«
»Du willst mich in keinen Zwiespalt bringen? Bist du nicht nur ein Mörder, Benito, sondern obendrein verrückt?« Welcher Zwiespalt konnte größer sein? Wenn sie ihn laufenließ, ging er hin und schoss Valentins Kaiser tot. Wenn sie aber die Garde rief, würde man ihn verhaften. Nach dem neuen Dekret durfte Valentin ihn ohne Verhandlung aburteilen, und vor dem Morgen wäre er gehängt. Ihr Blick traf seinen Hals. Sie konnte das nicht. Was immer er getan hatte, sie hatte seinen Hals mit Küssen übersät, sie konnte nicht daran schuld sein, dass man einen Strick darum legte und ihm das Genick brach. Zudem hätte er längst fliehen können. Dass er hier mit ihr stand und sie zu überzeugen suchte, rührte etwas in ihr an.
Ein Einfall kam ihr. Ihre Finger berührten ihre Schlagader. »Schwöre«, sagte sie zu ihm. »Auch wenn du ein Lügner und ein Mörder bist – schwöre, dass du den Kaiser nicht tötest.«
Er schien nicht zu begreifen. Dann gab er einen Laut von sich, der wie ein Lachen klang. »Dass ich den Kaiser nicht töte? Maximilian von Habsburg? Ja, natürlich, das schwöre ich, bei allem, was du willst.«
Sie vermochte ihren Blick nicht von seinem zu lösen. Meinte er, was er sagte? Durfte sie ihm trauen? »Geh«, sagte sie, weil ihr nichts anderes zu tun blieb.
»Danke.« Er machte zwei Schritte, blieb stehen und drehte sich um. »Ich liebe dich«, sagte er, drehte sich wieder um und ging weiter.
Ehe Katharina zu Atem kam, brach der Lärm der Hölle los. Am anderen Ende des Gangs flog eine Logentür auf, jemand brüllte nach der Garde, und gleich darauf polterten Schritte auf der Treppe. Alles verlief in eines, Geschrei und Geräusche, Fetzen und Bilder. Die kleine Frau Inez kam in Trippelschritten wie eine Gestalt aus einem Alptraum über den Gang und sandte ihr ein zahnloses Grinsen, ehe sie die Treppe hinunter verschwand.
Benito versuchte nicht zu entfliehen. Es wäre sinnlos gewesen. Mindestens zwanzig
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