Im Land der gefiederten Schlange
Bewaffnete der Garde stürmten ihm entgegen. Er streckte ihnen die Arme hin, die Gelenke nach oben gedreht. Sie sah zur Seite, weil sie auf einmal sicher war, dass die Männer ihn zu Boden stoßen und mit den Stäben ihrer Lanzen auf ihn einschlagen würden.
Geschrei von unten verriet, dass dort weitere Männer verhaftet wurden. Katharina fühlte sich am Arm gepackt. Valentin riss sie herum und holte aus. Ungläubig starrte Katharina zu ihm auf, und vielleicht war es das, ihr völliger Unglaube, der sie bewahrte. Aufstöhnend ließ er die Hand sinken.
»Du kommst mit.« Am Arm zerrte er sie hinter sich her. Vor der Tür ihrer Loge packte er sie noch einmal mit beiden Händen und sandte ihr einen rasenden Blick. Dann stieß er sie hinein. Drinnen befanden sich Oberst López, der von wer weiß wo gekommen sein mochte, seine Frau und die Hauptmannsgattin mit dem großen Busen. Die Vorstellung war unterbrochen worden, doch jetzt begann die Peralta von neuem, mit dunkler Süße den Saal zu füllen. »Oberst López? Geben Sie bitte auf Fräulein Lutenburg acht, bis ich zurückkomme.«
Katharina wollte protestieren. Er konnte doch nicht von ihr verlangen, dass sie hier sitzen blieb und Liebesliedern lauschte. Er aber stieß sie noch einmal zurück. »Du tust, was dir gesagt wird.« Damit ging er und warf die Tür ins Schloss.
»Setzen Sie sich«, flüsterte der Oberst und schob ihr einen der Polsterstühle hin. Als er ihr ein Glas Champagner reichte, trafen sich ihre Blicke, und sie war sicher, nie zuvor in so gütige Augen gesehen zu haben. »Versuchen Sie sich zu beruhigen. Wir können jetzt nichts tun.«
Katharina versuchte Champagner zu trinken. Immer häufiger hatte der Alkohol sich letzthin als Retter in der Not bewährt, doch als sie jetzt den Wein nur roch, hatte sie Mühe, nicht zu würgen. Gegen das Entsetzen half kein Wein. Benito würde sterben. Vielleicht schon jetzt. Das neue Dekret erlaubte Valentin, sein Urteil sofort zu vollstrecken. Sie glaubte ihn vor sich zu sehen, in einem Keller in Veracruz, das Licht der Kerze, das Muster auf sein Schulterblatt zeichnete. Sein Lächeln am Marigoldstrauch, wenn er sie gegen ihren Widerstand heimschickte. Und jetzt geh nach Hause, hatte er zu ihr gesagt, mit vor Zärtlichkeit funkelnden Augen. Meine Cempoalxochitl, mein süßes, tollkühnes, zweigeteiltes Mädchen.
Sie sprang auf. Sacht, aber eisern drückte der Oberst sie auf ihren Stuhl zurück. »Bleiben Sie sitzen, Señorita«, flüsterte er. »Was immer Sie tun, würde die Lage nur verschlimmern.«
Katharina biss sich auf die Lippe, bis sie Blut schmeckte. Unter ihr, in der kaiserlichen Loge, schimmerte das schüttere Blondhaar des Kaisers. Hatte Benito nicht den Tod verdient, dafür, dass er diesen Mann hatte töten wollen? Aber dafür stirbt er nicht, widersetzte sich eine Stimme in ihr. Er stirbt, weil er sich wie ein Idiot benommen und mit dir palavert hat. Weil er gewartet hat, um dir zu sagen, dass er dich liebt.
Auf der Bühne beendete die Peralta ihr Lied und trat ab. Gleich darauf erschien ein Mann mit Zylinder, der Direktor des Theaters, der sich in gestelzten Worten für die Unterbrechung entschuldigte. Die Lage sei unter Kontrolle, es bestehe kein Grund zur Besorgnis, und zur Besänftigung erhitzter Gemüter komme man nun zum Höhepunkt des Abends. Einer Premiere. Zum ersten Mal werde La Peralta für das Kaiserpaar eine neue Habanera singen, »eine kleine Sensation, meine Gäste, eine das Herz zerreißende Weise von Liebe und Tod, die die Welt nie vergessen wird. Einmal wird man Sie beneiden, weil Sie dabei waren, als dieses Lied uns geschenkt wurde. Ich habe die Ehre –
La Paloma.
«
Im weißen Gewand wie die Llorona kehrte die Peralta auf die Bühne zurück. In jeder Hand hielt sie einen Käfig und öffnete im Laufen die Türen. Während sie vor der Loge des Kaisers knickste, flatterten vier weiße Tauben in den Zuschauerraum.
Das Lied war nie zuvor gesungen worden. Nur einer, nur Katharina, kannte es, und La Peralta sang es nur für sie. Es war ihr Lied. Onkel Fietes Lied von den Seelen der persischen Soldaten, die die Mädchen in den griechischen Dörfern liebten. Das Lied ihres Vaters, der sie kleine Taube nannte, das Lied ihrer Mutter, die schrie und weinte, sooft sie eine Taube vor dem Fenster sah.
Als ich die Stadt verließ, o mein Gott,
Niemand sah, wie ich aufbrach.
Mein liebliches, kluges Mädchen –
Ich bin auf meinem Weg, und sie wird mir folgen …
Es war niemandes
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