Im Land der gefiederten Schlange
um Hille die passende Antwort zu geben. Sie wollte nur eins, die Suche schnellstmöglich fortsetzen. Dörte, deren Schwiegermutter ihr die Kinder hüten konnte, sollte in Marthes Haus wachen, falls Katharina dort auftauchte. Christoph und Fiete schlossen sich mit ihren Stalllaternen dem Suchtrupp an. Die samtene Bläue der Nacht begann den Himmel zu verdunkeln, und die Regenwolken verdichteten sich. Erst jetzt fiel Marthe auf, dass Peter noch immer nicht heimgekommen war, doch um sich darüber zu wundern, hatte sie jetzt keinen Gedanken frei.
Sie vergeudeten kostbare Zeit, indem sie ziellos durch Gassen hasteten, wo Fiete jeden, der ihnen begegnete, in seinem dürftigen Spanisch befragte: »Du, Muchacho, hast du eins von unseren Mädchen gesehen? So groß ungefähr, Ojos azules, aber die Haare eher so …«
Die Indios schüttelten die Köpfe und flohen in die Schatten. Von den Kreolen erhielt er ein paar vage Antworten, aber gesehen hatte Katharina keiner. Der, der sie hat, würde es uns ohnehin nicht sagen, der versteckt sich wie ein Raubtier in der Höhle. Marthes Herz schlug wie auf Trommeln. Ihre Finger krallten sich in Christophs Arm. »Wir müssen sie finden! Wir dürfen sie doch nicht verlieren!« Mit einem Schlag schienen die letzten zehn Jahre, die vielen Tage, an denen sie geglaubt hatte, sie könne eine Art von Frieden finden, ausgelöscht.
Christoph sagte nichts. Sein Gesicht war kalkweiß.
»Wir sollten noch einmal die Kinder befragen«, schlug die Sanne schwer atmend vor. »Das Fräulein Josephine war ja vorhin zum Üben da, und die beiden Mädchen stecken doch recht oft zusammen. Ich denke, wenn eine weiß, wo unsere Kathi ist, dann ist’s das Fräulein Josephine.«
»Meine Jo …«, murmelte Christoph, brach ab und fing neu an: »Wenn meine Jo etwas wüsste, hätte sie es mir gesagt.«
»I wo, die Gänschen lieben doch Geheimniskrämereien«, mischte Fiete sich ein. »Meine Jette und meine Luise sind da nicht anders. Ich denke, unser Sannchen hat recht. Fragen wir die liebe Jo.« Damit begann er fuchtelnd die Umkehr der Gruppe zu dirigieren. Ein Funke Hoffnung flammte in Marthe auf. Dass Josephine, das verhuschte Abbild ihrer Mutter, etwas wusste, bezweifelte sie, aber vielleicht die Jungen, Hermann oder Stefan. Tat Katharina sich nicht gern ein bisschen groß vor ihnen? Sie konnte nicht schnell genug zurück in die Siedlung kommen. Fiete trieb alle Kinder und Frauen in ihrem Haus zusammen – ohnehin war es in solcher Lage gut, wenn die Familie beieinander war.
Wie bei seinen Wanderungen ließ er sie in einer Reihe antreten. »Nun mal alle aufgepasst und die Ohren gespitzt. Wer von euch hat gehört, wo eure Base Kathi hinwollte? Na, wer bekommt da die Zähne nicht auseinander? Ich muss doch nicht etwa nachhelfen?«
Fietes eigene Kinder beteuerten, sie hätten keine Ahnung, und beschuldigten die Übrigen. »Wie soll ich wissen, wo Kathi ist«, keifte Traudes Helene. »Die ist eben schlecht erzogen und tut, was sie will. Was kann denn ich dafür?« Fiete schritt die Reihe ab wie ein Feldwebel, hob einem nach dem anderen das Kinn und sah ihm ins Gesicht. Marthes Blick folgte ihm. Mit jedem Kind schwand ihre Hoffnung. Dann aber war die Reihe an Josephine.
Wie immer, wenn jemand mit ihr sprach, errötete das Mädchen bis unter die Haarwurzeln. Kaum zu fassen, dass diese linkische Schweigerin und ihre selbstbewusste Katharina Basen waren. »Nun, beste Jo?« Fiete packte ihr Kinn. »Du und Kathi, ihr seid doch wie zwei Erbsen im Topf, habe ich recht? Dir hat sie sicher gesagt, wo sie hinwollte, und deshalb sagst du es jetzt am besten uns.«
Josephine wurde noch röter und presste die Lippen zusammen. Sie sah aus, als würde sie gegen Tränen kämpfen, und Marthe begriff, dass sie etwas verbarg. Als Fiete sie noch einmal fragte, schüttelte sie den Kopf, dass die dünnen Zöpfe flogen. Viel zu heftig für eine, die sich keiner Schuld bewusst war.
»Du weißt wirklich nichts, liebe Jo? Kein kleines bisschen?«
Wieder flogen die Zöpfe. Im nächsten Augenblick sprang Marthe hinzu und schlug das Mädchen ins Gesicht. Es tat gut, löste etwas von der Spannung. Ehe Marthe sich hindern konnte, hatte Josephine eine zweite Ohrfeige sitzen. »Wo ist meine Kathi?«, schrie sie.
Beinahe unhörbar weinte Josephine, hielt sich die brandrote Wange und wimmerte in ihre Hand.
»Sollte sie mich nicht wenigstens fragen, ehe sie mein Kind schlägt?«, raunte Inga hinüber zu Christoph, der keine Antwort
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