Im Land der gefiederten Schlange
gab.
»Damit lassen wir es genug sein, ja?«, sagte Fiete zu Marthe. »Was die arme Jo nicht weiß, das holen auch Maulschellen nicht aus ihr heraus.«
»Aber sie weiß es!«, begehrte Marthe auf.
Josephine ließ ihre Wange los und begann wieder den Kopf zu schütteln. Marthe packte ein solcher Zorn auf das kleine verheulte Gesicht, dass sie die Fäuste ballen musste, um nicht noch einmal zuzuschlagen. »Ich sag nichts«, wisperte das Mädchen. Plötzlich klappte sie zusammen, kauerte sich auf den Boden und verbarg das Gesicht an ihren Knien. »Ich habe Kathi versprochen, sie nicht zu verraten.«
Ohne ein Wort trat Christoph an Marthe vorbei, hockte sich zu seiner Tochter und legte den Arm um sie. Einen Herzschlag lang verspürte Marthe Verachtung für ihn. Sie selbst hätte keiner Menschenseele erlaubt, Katharina zu ohrfeigen, aber Christoph war nie Manns genug gewesen, sich zu wehren. Und zum Reden würde er Josephine auch nicht bringen.
»Das hat dann wohl keinen Sinn mehr«, bemerkte Fiete. »Vielleicht sollten wir die Stadtwache verständigen?«
Marthe wurde übel. »Aber sie weiß es doch«, protestierte sie, »sie muss es uns sagen.«
»Dass das kein gutes Ende nimmt, habe ich immer gewusst«, murmelte Traude. »Dass sie mit dem Pack umherzieht, liegt in ihr, und dass das Pack ihr irgendwann den Garaus macht, auch.«
Marthe schoss herum. Ehe sie aber auf Traude losgehen konnte, rief Josephine: »So ist es nicht! Kathi geht mit keinem Pack, nur mit Ben, und Ben ist ihr Freund. Sie will einfach wissen, wo Ben zu Hause ist. Er erzählt es ihr doch nicht, und das macht sie verrückt.«
Marthe war so erschrocken, dass sie nicht sofort reagieren konnte. Ihr Kind war in der Hand dieser Leute – sie hätte es wissen müssen, doch ihr Innerstes hatte das Wissen verdrängt. Statt ihrer handelte Fiete, wies die Sanne an, Ölzeug und Schirme für die Suchenden zu holen, und schickte Christoph nach noch einer Stalllaterne. »Das Beste wäre, du bleibst hier«, sagte er zu Marthe. »Wir können meinen Hermann mitnehmen und vielleicht noch Stefan. Wo die Leute von diesem Ben wohnen, bekommen wir heraus, und dann hast du deine Ausreißerin im Nu wieder bei dir.«
Marthe schüttelte den Kopf. »Ich komme mit.« Nicht auszudenken, dass sie hier hockte und wartete, ohne zu wissen, was mit Katharina geschah. Sie zog sich die Ölhaut über das Kleid. Gleich darauf ertönten Schritte auf dem Vorweg und dann das Klirren des Schlüssels im Schloss.
Alles eilte aus dem Salon. Im Windfang, offenbar völlig ahnungslos, standen Peter und Lise. »Wo in drei Teufels Namen sind Sie gewesen!«, brüllte Marthe das Kindermädchen an. Fiete musste sie mit aller Kraft festhalten, damit sie sie nicht schlug.
Er übernahm es auch, Peter so knapp, wie es diesem Schwätzer möglich war, darzulegen, was geschehen war. »Natürlich fragen wir uns alle, wo die Kinderfrau war und warum sie auf die Kleine nicht geachtet hat«, schloss er.
»Fräulein Lise trifft keine Schuld«, erwiderte Peter tonlos. Marthe sah, dass auch er kreidebleich geworden war. »Ich habe sie in der Brauerei gebraucht. Sie erledigt Schreibarbeit für mich.«
Peter hatte Lise weggeholt, damit sie in der Brauerei für ihn irgendetwas schrieb, für die verfluchte Brauerei brachte er sein Kind in Gefahr? Die Lise, so fand sie, sah ihr geradezu triumphierend entgegen. Im nächsten Atemzug war ihr das alles gleichgültig, sie wollte nur endlich Katharina finden.
Natürlich kam Peter mit, und außerdem wusste er, in welchem Dreckloch diese Leute hausten. Die Sanne blieb daheim, stattdessen schlossen sich ihnen Stefan und Hermann an, von denen der erste ein nutzloser Bücherwurm war, der zweite aber ein Kraftprotz, der ihnen womöglich eine Hilfe sein würde. Der Sturm, der die Regenwolken trieb, hatte eben eingesetzt, und über der Stadt, auf der immer ein Gewicht lastete und Marthe das Atmen erschwerte, hing schon die Nacht, zerschnitten von den Kegeln ihrer Lampen. Im Laufen schrie Marthe Peter an: »Woher weißt du, wo das Pack wohnt?«
Peter sah sie nicht an, sein Blick war starr geradeaus gerichtet. »Ich habe Bens Mutter ein paarmal aufgesucht.«
»Nenn den Kerl nicht Ben!«, schrie Marthe. »Er hat unsere Kathi, er vergeht sich an ihr, und du sprichst von ihm wie von einem …« Wie von einem Menschen, hätte sie um ein Haar gesagt, brach aber ab und ließ den Satz in der Luft hängen.
»Nein, ich nenne ihn nicht mehr Ben«, versprach Peter, noch immer ohne
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