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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Ausdruck in der Stimme. »Wenn er Kathi ein Leid getan hat, bringe ich ihn um.«
    Marthe sah sein Gesicht von der Seite und bemerkte, obwohl die gleiche Angst sie vorantrieb, wie weit entfernt er von ihr war. Das alte Verlangen flackerte auf, der Wunsch, diesem Mann nahe zu sein. Komm heute Nacht zu mir, wollte sie ihn anflehen. Wenn wir nur Kathi wiederfinden, ist es für uns noch nicht zu spät. Wir können doch noch Kinder bekommen, wir können noch einmal versuchen alles zu vergessen und von vorne anzufangen.
    Sie hörte nichts als die Vielzahl ihrer Schritte, die durch die ungepflasterte, von Flachbauten gesäumte Straße hallten. Die Laternen blakten ins Dunkel. Genau wie damals glaubte Marthe zu spüren, wie sich ihre Blicke in den Rücken bohrten und wie Stimmen hinter ihr hämisch zischten. Am Horizont, über alle Menschenwerke hinweg, drohte der grellweiße Gipfel des Vulkans.

5
    »Ich find’s nicht richtig«, hatte Katharina zu Josephine gesagt, »dass er mich so lange hinhält, obwohl wir Freunde sind, und dass er jetzt überhaupt nicht mehr mit mir spricht. Ich find’s einfach hässlich von ihm.«
    Dass Josephine sie nicht begreifen konnte, war Katharina klar. Die arme Jo verstand ja nichts von Freundschaft. Ihre Zwillingsbrüder lebten in einer Welt für sich, und mit den Vettern und Basen wusste sie wenig anzufangen. Onkel Fietes Kinder mit ihrer lärmenden Ruppigkeit machten ihr Angst, Tante Traudes Stefan hatte nur seine Bücher im Kopf, und seine Schwester Helene war eine böse Zunge, die jeden verpetzte, um sich bei den Erwachsenen lieb Kind zu machen. »Eigentlich habe ich niemanden als dich«, hatte sie Katharina einmal gestanden.
    Das war lieb gesagt, doch es machte Katharina Sorgen, weil Jo, so gern sie sie mochte, in ihrem Leben nie so wichtig werden konnte wie Ben. Es war nicht recht, ausgerechnet Jo ihr Leid über Ben zu klagen, aber irgendwem hatte Katharina es erzählen müssen. Es wühlte seit Wochen in ihr und wollte endlich hinaus. Jo, die gute Seele, die stumm zuhörte und ab und an nickte, war das beste Opfer dafür.
    »Ich weiß jetzt, was ich tue«, hatte Katharina ausgerufen, denn tatsächlich war es ihr während des Redens eingefallen. »Ich gehe und suche selbst das Haus, wo seine Mutter wohnt. Und dann frage ich eben die Mutter, ob sie weiß, warum Ben auf einmal so hässlich zu mir ist und warum ich sie nie mit ihm besuchen durfte.«
    »Das kannst du nicht tun«, murmelte Jo und wurde ausnahmsweise nicht rot, sondern noch bleicher, als sie von Natur aus war. Was hätte sie auch sonst sagen sollen? Die Arme war ja so besessen von dem Wunsch, es allen recht zu machen, dass sie vor Angst vor einem falschen Schritt lieber gar nichts tat. Vielleicht musste man so werden, wenn man die Tochter vom traurigen Onkel Christoph war und nur ja nicht schuld daran sein wollte, dass er noch trauriger wurde.
    Katharina hingegen waren im Augenblick sowohl Onkel Christoph als auch die übrigen Erwachsenen egal. Mit ihrer Mutter war über Ben sowieso nicht zu reden, und ihr Vater, wenn sie ihn darauf ansprach, strich ihr wie einem Wickelkind über den Kopf und beteuerte, Ben sei eben ein Fremder, den könne sie nicht begreifen, und das Beste sei, ein jeder bleibe in seiner Welt.
    Aber was ist denn meine Welt? Katharina hätte die Frage niemals laut gestellt, denn das wäre sinnlos gewesen. Die Eltern hätten ihr sofort versichert, dass ihre Welt natürlich die Heimat sei und dass sie eines Tages dorthin zurückkehren würden. Die Frage aber keimte immer wieder in ihr auf: Wie bitte kehrt man an einen Ort zurück, an dem man nie gewesen ist?
    Sie warf den Kopf in den Nacken. Dicke Strähnen lösten sich aus ihren Zöpfen. Wütend packte sie sie und flocht sie sich so fest, dass es ziepte. Für gewöhnlich richtete die Lise ihr das Haar, weshalb sie sich nicht sonderlich geschickt anstellte, aber der Wunsch, für Bens Mutter hübsch auszusehen, ließ sie ihr Bestes versuchen. Als sie sich schließlich geschlagen geben musste, riss sie kurzerhand ihr schönstes Tuch vom Haken und deckte das grässliche Haar damit zu. Die Sanne hatte ihr frische Blumen ins Zimmer gestellt. Die nahm sie als Gastgeschenk aus der Vase. Derart ausgerüstet zog sie los, und Josephines Protest verhallte ungehört.
    Sie hatte keine Ahnung, in welche Richtung sie gehen musste, aber sie wusste, wen sie fragen konnte. Die Leute, die mit Ben in des Vaters Lagern arbeiteten, würden ihr sagen, wo seine Familie lebte. Die

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